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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 4.1906

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Haberfeld, Hugo: Religiöse Kunst in der Wiener Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.4390#0175

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mehr noch als formelle, die sachlichen Unterschiede.
In der Pantheonfreske des Puvis de Chavannes
„Genovefa das belagerte Paris bewachend" fliesst
das unbegreifliche Wunder dieser Stadt mit der
holden Frömmigkeit der Legende zusammen; vor
ihr können wir auch im Fieber pariserischen Lebens-
gefühls demütig auf die Knie sinken. Bei der beu-
roner Kunst, selbst bei der noch verständlichen
„Erbsünde", die Eva und Maria unter dem Sünden-
baum vereint, wird man den erkältenden theolo-
gischen Einschlag nicht los. Das kommt daher,
weil bei Puvis Form und Inhalt geniale Resultate
moderner Konventionen sind, bei den Beuronern
jedoch symbolistische Umsetzungen ehemals viel-
leicht allgemeiner, heute nur mehr einem esoterischen
Kreise vertrauter Normen. Für das Schaffen und
Verstehen dieser mönchischen Kunst sind nicht nur
Talent und Empfänglichkeit notwendig, sondern
— so verlangt es ein Hauptsatz ihrer Aesthetik —
auch Gnade. Jedem Zeitalter leuchten aber andere
Offenbarungen. Courbet nannte die Arbeiter und
Maschinen „die Heiligen und Wunder des neun-
zehnten Jahrhunderts". Und aus den Statuen Meu-
niers spricht das Göttliche weit- mächtiger zu uns
als aus den kinderstimmigen Hymnen der beu-
roner Kunst. Durch die Lauterkeit ihres Strebens
ein ethischer Gewinn, durch manche zarte Empfin-
dung ein ästhetischer Reiz, ist sie nur eine inter-
essante Episode, ohne Zukunft.

einen „katholischen" Uhde. Soweit die sehr an-
nehmbare Theorie; die Praxis wird uns auf
der Ausstellung geboten. Und weiter als sonst
gehen in diesem Falle die feindlichen Schwestern
auseinander. Der heilige Ignatius und der heilige
Borgias von Leo Samberger sehen wie Porträts der
Herren X. und Y. aus; die Apostelstatuen von Max
Heilmaiergleichen Standbildern zweier Universitäts-
professoren. Der Vorwurf richtet sich nicht da-
gegen, dass die Heiligen wie münchener Bürger,
die Apostel wie Gelehrte, sondern dass sie eben gar
nicht wie Heilige und Apostel wirken. Der
Maler und der Bildhauer sind, ohne Charaktere zu
schaffen, am Aeusserlichen des Modells haften ge-
blieben. Völlig grotesk erscheint die missverständ-
liche Verknüpfung moderner und religiöser Elemente
im „christlichen Kunstgewerbe": ein weisser Hei-
liger, der zwischen Tintenfass und Streusandbüchse
auf einem blauen Porzellan-Schreibzeug sitzt. Wie
sich Altes und Neues kongruent decken lässt, zeigt
in der Ausstellung einzig Josef Huber-Feldkirch.
Sein Mosaik „der heilige Nikolaus" ist, obwohl
im Format vergriffen, eine respektable Leistung
und seine Glasfenster, besonders das mit dem heiligen
Andreas, sind sehr bemerkenswert. Noch muss
gerechterweise die merkwürdige, kaum beabsich-
tigte, dafür umso echtere Bierstimmung verzeichnet
werden, die den eher wie zum Dämmerschoppen
als zu einem Mysterium verdunkelten Raum erfüllt.
Fast vermisst man St. Gambrinus.

Das Programm der „deutschen Gesellschaft für
christliche Kunst" kennt man aus dem begleitenden
Text, der ihren Jahresmappen regelmässig beige-
geben wird. Hier wurde, und wohl nicht in un-
bewusstem Gegensatz zu Beuron, des Oefteren
ausgesprochen, dass die religiöse Kunst, soll sie
lebenskräftig sein, sich von dem Gang der allge-
meinen Entwicklung nicht ausschliessen dürfe. Sie
muss nicht nur in allem Technischen auf der Höhe
der Zeit stehen, sondern auch in der Auffassung
des biblischen Stoffes eine moderne Gesinnung be-
kunden. „Unsere Heiligengestalten müssen aus-
sehen und sich bewegen, wie wir es uns vorstellen,
gemäss unserer eigenen Kenntnis der heiligen Schrift
und Heiligengeschichte, gemäss der uns eigentüm-
lichen Auffassung von Religion und ihrer Bethäti-
gung." Die „deutsche Gesellschaft für christliche
Kunst" verlangt eine „christliche Gegenwartskunst"
oder wie es am prägnantesten formuliert wurde:

Es wird offenbar, dass den beiden von katho-
lischer Seite unternommenen Versuchen, eine
moderne religiöse Kunst zu schaffen, höhere Be-
deutung nicht zugesprochen werden kann. Prüfen
wir, was den weltlich gesinnten Künstlern, vor
allem den Veranstaltern der Ausstellung, den wiener
Secessionisten, auf dem ungewohnten Felde gelang.
Man sah schon im Frühling, als innerhalb der Ver-
einigung die bedauerliche Trennung erfolgte, der
ersten Ausstellung der Rumpfsecession mit begreif-
licher Spannung entgegen, die sich noch steigerte,
als bekannt wurde, dass religiöse Kunst das Thema
sein werde. Weil sich jene Mitglieder, die nur
malen und ausstellen wollten, durch die inhaltlich
geschlossenen, dekorativen Ausstellungskunstwerke
der Stilisten geschädigt fühlten, schied die Klimt-
gruppe, in der, neben dem Führer, Moll, Hoffmann
und Moser die erste Rolle spielten, aus dem alten

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