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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 23.1912

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Bayersdorfer, W.: Die Tschudispende
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https://doi.org/10.11588/diglit.5954#0252

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Acad. Leseh,

KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Hospitalstraße IIa
Neue Folge. XXIII. Jahrgang 1911/1912 Nr. 31. 21. Juni 1912.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« monatlich dreimal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 40 Nummern.
Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt
eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E.A.Seemann,
Leipzig, Hospitalstraße IIa. Anzeigen 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen an.

DIE TSCHUDISPENDE
Vor einigen Monaten brachte die Berliner Zeitschrift
»Pan« aufsehenerregende Nachrichten über Vorgänge
in der Alten Pinakothek zu München, wonach eine
Kollektion größtenteils modern-französischer Gemälde
und Plastiken, die man als »Tschudi-Gedächtnisstiftung«
in dem eben von der Sammlung Nemes geräumten
spanischen Saal Freunden und Verehrern des Ver-
storbenen für kurze Zeit zugänglich zu machen die
Absicht hatte, auf Betreiben einer der Scheingrößen
Münchener Kunst sofort entfernt und im Keller unter-
gebracht worden sein sollte. Die Nachricht wider-
sprach insofern den Tatsachen, als nicht ein Keller,
sondern ein geräumiges, helles Zimmer als neuer
Aufbewahrungsort bestimmt wurde, im übrigen aber
muß es den beteiligten Kreisen überlassen bleiben,
sich vor der interessierten Kunstwelt wegen eines Ge-
schehnisses zu verantworten, das bisher nie ein Dementi
von offizieller Stelle erfahren hat. Ohne zu erörtern,
ob es ganz richtig war, bei Kenntnis der Münchener
Verhältnisse eine Kollektion modern französischer
Kunst, wenn auch nur vorübergehend, gerade in der
Alten Pinakothek ausstellen zu wollen, so muß doch
auf jeden Fall betont werden, daß solch diktatorisch
auftretender Einfluß eines einzelnen, in seinen An-
schauungen so befangenen Künstlers nur von hem-
mendster Wirkung für die Entwicklung des allgemeinen
Kunstlebens und von größtem Schaden für den Ruf
einer Kunststadt wie München sein kann. Die bange
Sorge, die sich im ersten Augenblick Einzelner be-
mächtigt hatte, daß die ganze Sammlung München ver-
loren gehen könnte, sollte sich glücklicherweise nicht
bewahrheiten; die Kommission hat, wie nicht anders
zu erwarten, das kostbare Geschenk angenommen und
durch die vor einiger Zeit erfolgte Genehmigung des
Prinzregenten ist es zum festen Besitz des bayerischen
Staates geworden. Was das für unsere Sammlungen
bedeutet, wird jeder abschätzen können, der einmal
die Neue Pinakothek in Hinblick auf die französische
Malerei des vergangenen Jahrhunderts durchschritten
und sich dabei den Einfluß gerade dieser Malerei auf
die deutsche der letzten 40 Jahre ins Gedächtnis ge-
rufen hat. Der einzige, kleine Courbet, der zusammen
mit einem ebenso kleinen Consfable in einem der
kleinen Kabinette ein wenig beachtetes Dasein führte,
erhält nun fünf stattliche Brüder (mit dem von Tschudi
schon früher erworbenen sogar sechs), die den großen

Naturalisten in ganz anderer Weise und in sehr ver-
schiedenen Gebieten seiner künstlerischen Tätigkeit
würdigen lassen, als Landschafter, als Stillebenmaler
und als Porträtisten. Das farbenprächtigste Stück, stark
an alte Venezianer erinnernd, ist wohl das Stilleben
mit rotwangigen Äpfeln, von dunkelgrünen Zweigen
überschattet, während im Hintergrund tiefgraue Wolken
vorüberzujagen scheinen, eine jener merkwürdigen
Schöpfungen, die innerhalb der Mauern des Gefäng-
nisses entstanden sind und in der Ecke in leuchtendstem
Rot den Vermerk tragen: St. Pelagie. Nicht ganz so
bedeutend, wenngleich für Courbet durchaus charak-
teristisch sind zwei Porträts des Ministers Ollivier
und eines jungen Mädchens, beide jene etwas ver-
blasene Farbengebung aufweisend, wie sie bei seinen
Bildnissen und selbst Akten öfters auffällt. Mit ganz
reifen Werken ist er hingegen wieder als Landschafter
vertreten durch ein einfaches Motiv saftig grüner und
breit hingestrichener Wiesenhänge, die mit den be-
kannten grauen Felsen vor einem auffallend hellen
Himmel trefflich zusammengestimmt sind, sowie durch
das große dunkle Waldbild mit dem durchgehenden
Schimmel, dessen Reiter er selbst nachträglich zugemalt
hat. War Courbet schon, wenn auch mangelhaft in
der Neuen Pinakothek heimisch gewesen, so erhält
dieselbe mit Manet einen ihr bisher völlig Unbekannten
und zwar gleich mit einer Arbeit, die man zu den großen
Meisterwerken der Malerei aller Zeiten rechnen muß,
dem »Frühstück im Atelier« von 1869. Ein zweiter
Manet, die Familie Monet im Boot, wird der Kollektion
vielleicht nachträglich noch einverleibt werden. Es
folgen Monet mit der großen Steinbrücke bei Argen-
teuil und Renoir mit einer, nicht geringere Qualität
französischen Farbengeschmacks dokumentierenden An-
sicht der Markuskirche in Venedig (unvollendet), der
zeitlich ein wohl zwischen 1870 und 1880 entstandenes
Damenbildnis vorausgeht, während einige weitere Ar-
beiten der späteren Periode gleichfalls noch der nach-
träglichen Aufnahme in die Stiftung harren. Von der
jüngeren in verwandter Richtung gehenden Generation
sehen wir eine sehr delikat gemalte »Dame vor dem
Spiegel« von Bonnard, eine ziemlich aphoristisch und
skizzenhaft behandelte »salle ä manger« (1902) und
eine »Dame in blaugemustertem Kleid« (1909) von
Ed. Vuillard, schließlich ein Pariser Stadtbild mit Blick
auf die Seine von M. Luce. Auf weniger koloristisch-
realistischer Bahn wandelt Maurice Denis mit zwei zarten
 
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