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in jener hohlsn, der natürlichen lVärme entbehrenden
Farben- und Formensprache sich ausdrüekt, die man
so häufig als die wahre Zdealisirung preisen hört
und welche noch vor wenigen Iahrzehnten allgemein
hochgehalten wurde, sondern ideal schaffen heißt das
lVesen der Sache treffen und für das lVesen die
rechte Form und Ausdrucksweise zu finden. cho sind
die Niederländer nicht minder ideal als die großen
s)taliener des Tuattro- und Linquecento, so hat ein
chhakspere keine geringere Idealität als ein Sophokles,
Dürer keine geringere als Naffael, nur ist in beiden
Fällen da; Stoffgebiet ein anderes und sind daher die
Lormen und Darstellungsmittel andere. Nlit der
geistigen Bedeutung des Stoffes wächst auch die der
Form, je höher die Sphären sind, aus denen der
Rünstler seinen 5toff entlehut, um so durchgeistigter
muß derselbe werden. Form und ssnhalt müssen ein-
ander stets entsprechen und sich gegenseitig harmonisch
durchdringen. — Das ganze Universum in seiner
reichen Mannigfaltigkeit steht dem Rünstler als Stoff
gegenüber, Alles kann von ihm in Schönheit umge-
wandelt werden, mag es nun ein welterschütterndes
Lreignis sein, bei welchem kraftvolle Naturen ihren
Untergang finden, mag es ein sterbendes Vögelein
sein. Das eine Utal entsteht ein Drama, das andere
Uial ein Lied, einmal ein anspruchloses Genrebildchen,
das andere Uial ein monumentales ksistorienbild. Aber
ist auch die Runstform verschieden, des idealen Ge-
haltes darf sie nie entbehren, immer bilden sie die
geheimnisvolle Vermittelung, zwischen der lVirklichkeit
und der Idee. — lvenn nun der Ulensch vermäge
seiner Anlage als sinnlich vernünftiges lvesen dazu
gedrängt wird, die ganze natürliche lvelt, die ihn
umgiebt, und mit der er durch unzählige Fäden ver-
knüpft ist, in eine ihm frei gegenüberstehende lvelt,
die nach den Gesetzen der Schönheit regiert wird, um-
zuwandeln und so zur Uunst gelangt, so ist doch auch
nichts natürlicher, als daß er diejenigen Dinge, die
er sich selbst zu seinem Gebrauche und seiner Be-
quemlichkeit schafft, und welche zunächst nur auf
Grund natürlicher Bedingungen gefordert werden,
nicht nur zweckmäßig bilde, sondern in die Form der
Schänheit kleide. — lvie wir einen rein verstandes-
mäßig schaffenden Ukenschen, der nur aus kaltem
Michtgefühl handelt, zwar bewundern können, aber
durch sein Thun nicht sympathisch berührl und er-
wärmt werden, sondern wie nur das aus hingebender
Liebe zur Sache und aus heiliger Begeisterung her-
vorgehende Thun wieder Liebe und Begeisterung zu
wecken vermögen, so kann auch reine Zweckmäßigkeit,
und brächte sie, wie aus dem Gebiete des Ukaschinen-
wesens auch Staunenerregendes zu Stande, den
Menschen nicht so in seinem Znnersten packen wie
die Schönheit, und darum wird sich jene stets mit
dieser zu verbinden suchen. Zn monumentalster und
bedeutsamster lveise vollzieht sich diese Durchdringung
und Verquickung von Zweckmäßigkeit und chchönheit
in der Architektur, aber noch ehe der Ulensch dazu
gelangte künstlerisch schön zu bauen, hatte er schon
den mannigfachen Dingen des täglichen Gebrauches,
seinen Rleidern, Geräten, lvaffen ro. über das Zweck-
mäßige hinausgehende, das 2luge erfreuende Formen
verliehen, die zwar eng mit der Technik verbunden
sind und ganz von der Art des Alaterials abhängen,

so daß für Holz diese, für Uketall jene, für Thon
und Steiu wieder andere als charakteristisch erscheinen,
die sich aber innerhalb der durch Zwsck, Ukaterial
und Technik gezogenen Grenzen mit einer nur durch
Schönheit gezügelten Freiheit bewegen. Ulit ihrem
Zauberschleier umhüllt die Schönheit die durch den
Zweck bedingten Formen. Ls ist das lvesen des
schön ornamentirten Gegenstandes, daß seine Formen
unmittelbar zu unseren Sinnen sprechen, und indem
sie dieses thun, doch zugleich unseren verstand be-
friedigen, daß sie, ohne daß wir Ukathematiker,
physiker und Lhemiker zu sein brauchen, uns erkennen
lassen, daß der Gegenstand allen durch jene wissen-
schaften an ihn gestellten Forderungen genügt. —
lvie in dem Bilde des Ukalers und in der Gestalt
des plastikers die Naturformen in der lveise ver-
ändert sind, daß sie das Zdeal durchschimmern lassen,
so wird im Mrnament das Zweckmäßige idealisirt
und dem durch jenes geschmückten Gegenstande der
Schein des freien Seins verliehen. Das ist die große
stets sich gleich bleibende Bedeutung des Runsthand-
werkes, das giebt ihm seine würde und sein Ansehen,
und es macht es wert, daß ihm die Besten ihre
Rräfte weihen. <Ls macht uns, die wir uns so gerne
erhaben über alles Zrdische wähnen, frei von dem
Gefühle unserer chchwäche und Bedürftigkeit, denn
die Schönheit hebt den äußeren Zwang auf, sie ent-
kleidet die vielen, unseren mannigfachen kleinen Zwecken
dienenden Gegenstände des Tharakters der bloßen
Dienstbarkeit und läßt ihre Leistungen als sreiwillige
erscheinen. wie wir an den Uksnschen, die uns dienen,
keine knechtische Unterwürfigkeit lieben, sondern viel-
mehr die freie Lelbstbestimmung eines jeden Zndivi-
duums hochschätzen, so vermögen uns auch nur die-
jenigen Gegenstände dauernd zu befriedigen, zu denen
wir in ein solch persönliches verhältnis treten können.
wie unsere phantasie die ganze Natur beseelt und
uns glauben macht, jener dunkle Laubwald fordere
uns auf, seine kühlenden Schatten aufzusuchen, der
Baum biete uns seine reifen Früchte an, der muntere
Muell lade uns ein, aus ihm zu trinken, die Blumen
blühten und dufteten für un», die vägel trällerten
für uns ihr munteres Lied, so beseelt sie auch die
von uns zu bestimmten praktischen Zwecken ge-
schaffenen Gegenstände und verleiht ihnen durch
Schönheit den Schein des auf sreier Selbstbestimmung
beruhenden Thuns.

Bo ist im Grunde die eigentliche Aufgabe des
Runsthandwerkes keine andere als die der Runst.
wie viel Rünstler sind schon aus den Rreisen des
Runsthandwerks, ja des einfachen ksandwerks hervor-
gegangen, und wie mannigfache Befruchtung und
Anregung hat wiederum das Runstgewerbe aus den
Rreisen der Runst erhalten. Nicht die Art des Thuns,
sondern die Natur des in Schönheit umzuwandelnden
Stoffes bedingt den Unterschied, Gb ich ein Drama
zu schreiben oder ein Taselservice zu komponiren habe,
in beiden Fällen muß mein Thun ein künstlerisches
sein, wenn die teistung befriedigen soll, in beiden
Fällen kommt es darauf an, den künstlerisch rohen,
ungeformten 5toff in Schönheit umzuwandeln. Auf
Grund einer Notiz, wie der folgenden, lassen sich viele
effektvolle Dramen schreiben: Ȁuttgart. Am
gestrigen Tage fand man in der wohnung des

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