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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 13.1902

DOI Artikel:
Abels, Ludwig W.: Vom Wiener Kunstgewerbe 1901-1902
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https://doi.org/10.11588/diglit.4880#0213

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VOM WIENER KUNSTGEWERBE

1901 1902

VOR meinem Fenster rauschen
die Linden und wiegen sich im
Winde. Deutsche Linden, wie
sie jeder Lyriker, von Goethe bis
Heine und herauf bis Scheffel be-
sungen hat. Noch sind die Blüten
nicht aufgebrochen, um Berg und
Thal mit süssem Duft zu übergiessen.
Da will ich schnell, ehe mich die
Wanderlust alle die Mühen und
Kulturarbeiten des Orossstädters ver-
gessen lässt, in grossen Zügen resü-
mieren, was im Laufe eines Winters
an Fortschritten erzielt worden ist.

Das moderne Kunstgewerbe ist
eine lernäische Hydra, ein triebkräf-
tiges Ungeheuer: für jeden Kopf, den
die Kritiker abschlagen, erwachsen
zwei neue. Von den Künstlern, die
man vor wenigen Jahren noch ange-
zweifelt hat, sind schon die Schüler
wieder grossjährig geworden — und
so wird's nicht lange dauern und
das Publikum wird sich ergeben
müssen.

In Wien hat die Bewegung fast
alle Kreise ergriffen. In jeder Familie
ist ein Sohn oder eine Tochter oder
wenigstens ein Adoptivkind, das Talent
für moderne Malerei oder Kunst-
gewerbe hat. Wie einstmals fürs
Hofburgtheater, so schwärmt man
heute für die Ausstellungen der Seces-
sion und des österreichischen Mu-
seums. Mackintosh! Ashbee! Fernand
Khnopff! Max Klinger! Ich glaube,
es giebt keinen Jour, kein Mädchen-

pensionat, keinen Geselligkeitsverein,
in dem nicht mit erregten Sinnen von
diesen Ereignissen im Wiener Kunst-
leben gesprochen wird. Da Wiens
politische Verhältnisse so über die
Massen unglückselige sind, so rettet
sich alles in die Sphäre der Kunst-
interessen.

Das hat eine Frühreifeperiode ge-
zeitigt, die im Augenblick recht inter-
essant und erfreulich ist, aber auf die
Dauer doch nicht ohne Rückschlag
bleiben dürfte. Freilich ist Wien von
jeher eine Stadt von lebhaftem künst-
lerischen Bestreben gewesen. Und
speziell die Fragen der Architektur und
Innendekoration haben bekanntlich
dort die Talente viel beschäftigt. Aber
schon jetzt zeigt es sich, dass das
Land nicht Beschäftigung für alle sich
hervorthuenden Kräfte hat, dass viele
nach Berlin, Darmstadt, Russland
auswandern. Ahnlich wie die Theater
aller deutschen Städte (besonders von
Berlin) zahlreiche österreichische Schau-
spieler in ihrem Verband haben, so
wird bald neben dem Wiener Friseur,
Wiener Bäcker, Wiener Cafetier auch
der Wiener Kunstgewerbler allüberall
seine»Pfosten und Bretter« aufschlagen.

Nächst dem nach Darmstadt über-
siedelten Olbrich, ohne dessen trei-
bende Kraft und sanguinisches Tempe-
rament das »Dokument deutscher
Kunst« nicht zu stände gekommen wäre,
ist es Professor Josef Hoffmann und
seine Klasse an der Kunstgewerbe-

UMRAHMUNG VON KARL WORNER, LEIPZIG
 
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