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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 28.1917

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Jessen, Peter: Reisestudien, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4829#0177

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Gemaltes Bildnis im Museum zu Söul

noch riesige Auslagen solcher Schundware in Läden und Warenhäusern
lammfromm gefallen — erscheint in ihrem eigenen Lande noch um vieles
oberflächlicher, billiger, gemeiner als draußen. Sie überschwemmt
schlimmer noch als bei uns die edelsten Stätten der Andacht; auf der
herrlichen Insel Enoschima beengen ihre Krambuden alle Wald- und
Aussichtswege und werfen im Angesicht des befreienden Meeres den
Besucher an jeder Pfadbeuge aus aller Stimmung. Ich habe unter freund-
licher heimischer Führung einige Werkstätten der Töpferei, Handweberei
und Stickerei besucht und in engen Räumen dicht gedrängt kümmerliche
Arbeiter und Arbeiterinnen über ihre technisch oft staunenswerten, künst-
lerisch so schmerzlichen Werke gebeugt gesehen. Die Fabrikanten zeigten
mir mit besonderem Stolze das, was dem vermeintlichen Geschmacke
Europas nahe kam. Ich erinnerte mich dabei einer leidenschaftlichen
Erörterung im Preisgericht der Weltausstellung in Turin 1911, als der
japanische Kollege es nicht fassen konnte, daß wir einem großen, be-
rühmten Aussteller seines Landes für seine technisch einwandfreien Arbeiten
nicht den beanspruchten Preis zuerkennen wollten, weil alle Muster im
übelsten Jugendstil gehalten waren. Die Quelle dafür fand ich in der
Kunstgewerbeschule in Kioto, die ein Bruder des jetzigen Ministers des
Auswärtigen, Motono, leitet. Er hat mehrere Jahre in Europa verbracht,
auch in Berlin als Schüler der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbe-
Museums, und leider die Vorstellung heimgetragen, er müsse nun Raum-
dekorationen, Möbel, Gefäße und Flächenmuster in seinen Klassen so zu
Papier bringen lassen, wie er es bei uns glaubt gelernt zu haben. Ich
habe ihm meine Bedenken verhehlt, obwohl ich mich in dem Augenblicke
an ein einstiges Erlebnis erinnerte. Ein Ministerial-Direktor des Schul-
ministeriums aus Japan besuchte vor Jahren meinen Vater, um ihn nach

den besten Quellen für Bleistifte zu befragen, und war höchst erstaunt, als dieser in seinem Biedersinn ihm
gerade heraus antwortete: »Was wollen Sie mit Bleistiften? Im Lande der Pinselkunst sollten Sie überhaupt
keinen Bleistift dulden!«

Heute, zwanzig Jahre später, beginnt solche Erkenntnis sich doch hie und da durchzusetzen. Im Hause
meines gastfreien Freundes, des Direktors Niwa vom Handelsmuseum in Kioto, zeigte mir einer seiner Söhne,
ein junger Maler, feinsinnige Gemälde und Dekorationen im besten Geschmacke Altjapans, wie man sie
jetzt in seiner Schule und ihrem Kreise schafft. Und ich hatte Gelegenheit, im Gebrauch gebildeter Japaner
und in gewissen versteckt gelegenen Läden, die dem Fremden zu entgehen pflegen, ausgezeichnete Stücke

heutiger Lackarbeit, Metallkunst und Töpferei zu beobachten.
Selbst unter den Spielsachen und kleinen Andenken, die bei den
Tempelfesten zu Verkaufe stehen, fand man neben verderbter
Ware einen unverlorenen Bestand anmutigster Formen und Farben.
Die angeborene Fertigkeit von Hand und Auge, das uralte Erb-
teil dieses begabten Volkes, bildet einen Schatz im Frieden und
im Kriege, über dessen völkischen Wert man das herrliche Buch
von Major Karl Haushofer, Dai Nihon, Betrachtungen über Groß-
japans Wehrkraft, Weltstellung und Zukunft (Berlin 1913), mit
j hohem Genuß nachlesen wird. Wie liebevoll auch der gemeine
Mann an der Handwerkskunst hängt, lehrte mich eine launige
Stunde auf einer Bahnfahrt im Hokkaido. Ein weinseliger Greis
stieg ein und fand mit seinen lauten Scherzen zu Anfang wenig
Anklang. Bald aber ließ er unter den Landsleuten seine Sake-
flasche kreisen, eine Kürbisflasche mit köstlicher Patina. Nun
zogen zwei andere Fahrgäste die ihrige hervor, ebenso sorgsam
gepflegte Stücke, und da gab es ein gegenseitiges Bewundern
und Gerede; man beschaute, streichelte, hielt die Umrisse gegen
das Licht, verglich die Farbtöne und war auf dem Wege über
die Kunst alsbald ein Herz und eine Seele. Die Anlage des
Auges schien mir trotz aller Abwege ein unverlierbarer Volks-
besitz, der auch heutiger und künftiger Aufgaben Herr zu werden
verspricht. Nirgends auf der Welt habe ich anmutigere Ansichts-
karten gefunden als in den Läden japanischer Photographen.
Einen Auszug alles Guten und Schlimmen aus der Arbeit
Mattgrün glasierte Kanne nebst Becken im Museum zu söui des modernen Japan erlebte ich endlich in der Woche, die ich

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