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Martin, Rudolf
Lehrbuch der Anthropologie in systematischer Darstellung: mit besonderer Berücksichtigung der anthropologischen Methoden ; für Studierende, Ärzte und Forschungsreisende ; mit 460 Abbildungen im Text, 3 Tafeln und 2 Beobachtungsblättern — Jena, 1914

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.37612#0704
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682

Kraniologie.

liervorgegangen sind, die Variabilität der Kopfform eine viel größere,
als bei den Indianern. Dieses Gesetz von der Zunahme der Varia-
bilität mit der Heterogeneität des Typus gilt aber nicht nur für den
Längenbreiten-Index, sondern auch z. B. für die Gesichtsbreite (BoAs
1895), und wohl auch für alle anderen Kopf maße und Verhältnisse.
Die geographische Verteilung des Längenbreiten-Index war aber
nicht immer die gleiche, wie wir sie heute treffen, sondern besonders
in Europa macht sich im Laufe der letzten Jahrtausende der Prozeß
eines stets zunehmenden Brachylcephalismus geltend. In
Regionen, die früher ausschließlich von Dolicho- und Mesokephalen
besiedelt waren, finden wir heute vorherrschend ausgesprochene
Brachykephale. Auch Homo Neandertalensis zeichnet sich durch eine
deutliche, oft extreme Dolichokephalie aus (vgl. Tabelle 8. 665). Aber
schon in Krapina finden sich neben den typischen Dolichokephalen
Vertreter der Brachykephalie. Die Frühformen des Homo sapiens
sind dolicho- bis mesokephal (Chancelade = 72,0, Cro-Magnon = 77,2).
Im Neolithicum haben wir bereits lang-, mittel- und kurzköpfige
Formen nebeneinander, wue die folgende Zusammenstellung zeigt:
dolichokephal mesokephal brachykephal Autor
Dänemark 17 Proz. 23 Proz. 30 Proz. NiELSEN
Frankreich 47 ,, 64 „ 18 „ HERVE
Es besteht also schon eine deutliche Mischung der Typen, doch
enthalten die neolithischen Stationen von Baumes-Chaudes und l'Homme-
Mort (Mittel aus 7 J = 71,5 aus 6 $ = 75,1), die von vielen als die
ältesten angesehen werden, nurDolichokephale^). In dem Neolithicum
Böhmens und Schlesiens findet sich neben einer dolicho- bis hyper-
dolichokephalen Gruppe eine meso- bis brachykephale, die auch durch
eine Reihe anderer Merkmale voneinander differieren (RECHE 1909).
Die neolithischen Brachykephalen sind, wie ihre geographische Ver-
breitung lehrt, aus dem Osten eingewandert, vermutlich aus Südost-
Europa oder Vorderasien, eher als aus Zentralasien.
Aber selbst in frühhistorischer Zeit sitzen die Dolichokephalen
noch in ziemlich geschlossenen Gruppen in Schweden, in Rußland, im
slavischen Oesterreich und in den Ländern des Rheines. Sie werden
ziemlich allgemein als Vertreter der nordischen Varietät des Homo
eu ro p aeu s an ge sp ro ch en.

Längenbreiten-Index
Hünengräber
Alamannen
Rezente Bayern
60,0— 64,9
3,0 Proz.
— Proz.
— Proz.
65,0HH69,9
28,8 „
5,2 „

70,0— 74,9
62,1 „
50,0 „
0,8 „
75,0— 79,9
60 „
32,9 ,,
16,3 „
80,0— 84,9
11,9 „
52,7 „
85,0- 89,9

26,9 „
90,0- 94,9
— ,,

3,1 „
95,0—100,0
— „
— „
0,2 „

Aehnliche Resultate finden sich in der Schweiz und in Oester-
reich, denn auch in den slavischen Gebieten Europas hat eine Ver-
drängung der Dolichokephalen durch die Brachykephalen stattgefunden.
Die primitive Bevölkerung Rußlands in den Kurganen des 7.—9. Jahr-

1) Abbildungen diesen Schädel linden sich z. B. bei MAYET, L., Les Neolithi-
ques de Montouliers. L'Anthropologie, 1913, T. 13, 8. 53 ff.
 
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