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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 8.1965

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Nr. 3
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Die Kontiunität unserer Kultur: eindrucksvoller Beginn mit einem Festvortrag von Prof. Dr. Friedrich
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Weinrich, Harald: Die Altphilologen und ihr Glück: Tagung des Deutschen Altphilologenverbandes in Münster
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https://doi.org/10.11588/diglit.33070#0039

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er auch Eingang in die Divina Comedia gefunden, jenes göttliche Gericht über alles
damals Bekannte.

Im Sinnganzen der Divina Comedia liege der Grund für das göttliche Nein-Wort
verborgen, das dort iiber Odysseus gesprochen wird. Dantes Odysseus sei ein Werk
des römischen und christlichen Geistes, eine mächtige Neuschöpfung Dantes und zugleich
ein Beispiel des dramatischen Vorgangs, wie die christliche Zeit das Erbe eingeschmolzen
hat. Dante stütze sich bei seiner Jenseitswanderung auf Virgil, der für ihn zugleich
Sprecher der auf das Christentum vorausdeutenden Wahrheit gewesen sei. Jede Gestalt
der Divina Comedia nun sei auf ein beispielhaftes Grundverhalten jeder Person kon-
zentriert: bei Odysseus auf den Betrüger und listigen Ratgeber. Als solcher sei er aber
nicht mehr eine Gestalt Homers, sondern der Umwandlung durch die römische Literatur,
die die Griechen bevorzugt als Betrüger bezeichnete. Die homerische Gestalt der wen-
digen Klugheit unter dem Schutz der Göttin Athens und ohne moralische Fragwürdig-
keit war nationalpolitischer Anschwärzung zum Opfer gefallen.

Als weitere Quelle für diese Interpretation des Odysseus nannte Prof. Friedrich
das System der römischen Ethik (fides und pietas): Odysseus war danach der Betrüger
derer, aus denen „Romas edler Same kam“. Das erkläre aber nicht die bezwingende
Poesie der Weltfahrt in Dantes Gedicht. Sie entspringe der Achtung des Römers vor
der Virtus des Odysseus, die aber — und hier spiele die christlich-augustineische Inter-
pretation dieser Eigenschaft herein - nicht ohne Hybris gewesen sei, indem Odysseus
in seiner Weltfahrt über die gottgesetzte Grenze der Säulen des Herkules hinaussegelte.
Virtus aber kann als letztes Ziel nur Gott haben. Odysseus konnte dies nicht wissen,
aber der christliche Leser weiß es. Deshalb mußte Odysseus scheitern.

Die Gedanken Prof. Friedrichs gaben einen eindrucksvollen Begriff von dem kontra-
punktischen Gebilde von Größe und Schuld, von der Hinneigung der Antike kei Dante,
aber auch seiner Abkehr, weil sie nur Stückwerk ist. Dies aber sind zwei Grundzüge
des Humanisums, beschloß Prof. Friedrichs seine Ausführungen, die den Hörern deutlich
machten, daß wir ohne die Antike nicht leben. jh

Berichte über die Tagung in Münster brachten auch die Mitteilungsblätter verschie-
dener Landesverbände. Hier folgt noch, entnommen der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung:

Die Altphilologen und ihr Glück

Tagung des Deutschen Altphilologenverbandes in Münster

Die Zahl der Schulen, an denen Latein gelehrt wird, ist heute größer denn je. So
erfuhr man aus einem Referat der Tagung. Aber in anderen Referaten und in den Be-
grüßungsworten des 1. Vorsitzenden Dr. Kay Hansen dominierten Sorge und Klage:
Wird das humanistische Gymnasium fortbestehen, oder ist das Hamburger Abkommen
der Ministerpräsidenten vom Herbst 1964, das den Griechischunterricht auf fünf Jahre
einschränkt, der Anfang vom Ende? Wird eine sich modern gebärdende Welt noch
weiterhin vom hohen Rang der alten Sprachen und von klassischer Vorbildlichkeit zu
überzeugen sein? Die Fragen klangen oft bang, die Antworten resigniert.

In dieser Stimmung hörten die Teilnehmer der Tagung des Deutschen Altphilologen-
verbandes in Münster ein Referat iiber „Cäsar und sein Glück“. Der Titel spielt an
auf die berühmte Anekdote von Cäsars Überfahrt über die stürmische Adria. Dem
verzagenden Schiffer ruft der Feldherr zu: „Fürchte nichts, du fährst Cäsar und sein
Glück!“ Professor Franz Bömer interpretierte die Anekdote auf die griechische Tyche

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