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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 8.1965

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Nr. 3
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Weinrich, Harald: Die Altphilologen und ihr Glück: Tagung des Deutschen Altphilologenverbandes in Münster
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https://doi.org/10.11588/diglit.33070#0040

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hin und identifizierte diese mit der personalen Felicitas des großen Individuums, nicht
mit der launischen Fortuna. Dieses Glück korrespondiert mit Napoleons Sonne von
Austerlitz und Friedrichs des Großen Fortuna. Wären auf dieser Tagung, was bedauer-
licherweise nicht der Fall war, Diskussionen vorgesehen gewesen, hätte wohl einer auf-
stehen und den Altphilologen jenes Glück wünschen mögen, von dem Cäsar so unbeirr-
bar überzeugt war. Nichts als jenes Glück fehlt den alten Sprachen in unseren Tagen.
Und es ist sehr bedenkenswert, ob nicht gerade die gehäufte tagespolitische Apologetik
der „Bildungswerte“ das Glück vertreibt. Man erinnere sich an Ernst Robert Curtius,
der auf dieser Tagung oft genannt wurde. Curtius hat die Antike nicht als Apologet
verteidigt, sondern er hat sie einfach als selbstverständlich vorausgesetzt. Freilich ent-
hält seine Schrift „Deutscher Geist in Gefahr“ (1932) auch ein Humanismus-Kapitel,
aber dieses liöchst lesenswerte Kapitel steht unter der Überschrift „Humanismus als
Initiative“ und verkündet einen Humanismus „aus dem Überschwang der Fülle und
Freude“. Kein Wunder, daß Curtius mit diesem Humanismus das Glück an seiner Seite
gehabt hat. Es ist daher vielleicht doch nicht richtig, wie gebannt auf die schrumpfenden
Stundentafeln der alten Sprachen zu starren. Die Stundentafeln sind nur Epiphänomene;
sie schrumpfen nur, wenn das humanistische Bewußtsein außerhalb derSchulen schrumpft.
Curtius hat sogar gemeint, es sei ein hoffnungsloses Unternehmen, der heutigen Welt
den Humanismus von der Schule aus wieder liebenswert zu machen. So weit brauchen
wir wohl nicht zu gehen. Aber gewiß wird das Gymnasium um so sicherer humanistisch
sein, je weniger der Humanismus bloß gymnasial ist.

Von ähnlichen Überlegungen mag Dr. Eberhard Hermes in seinem Referat über
Latein in unserer Zeit ausgegangen sein. Er formulierte in der Sprache der modernen
Soziologie eine entschiedene Absage an die Musterklassik und an die inhaltlich be-
stimmten Bildungsideale einer humanistischen Elite. Die Gesellschaft hat sich gewandelt;
auch das humanistische Gymnasium hat dem Rechnung zu tragen. Der Unterricht in
den alten Sprachen soll daher nicht mehr der Vermittlung vorgegebener Bildungsgüter
dienen, sondern als offener soziologischer Erfahrungsraum die Kunst des Verstehens
pflegen. Nicht auf das Übersetzte, sondern auf das Übersetzen kommt es an. Nur so
wird der Unterricht Modelle des Verhaltens zur modernen Welt entwickeln können.
Wiederum war zu bedauern, daß es zu keiner Diskussion dieser Thesen kam. Man hätte
gerne gewußt, wieviel Zustimmung diese Art von Modernisierung des altsprachlichen
Unterrichts gefunden hätte. Bedenklich ist ja vielleicht an dieser Wendung von einer
materiellen zu einer formalen Pädagogik, daß in ihr die Inhalte auswechselbar werden.
Es bleibt dann zu sagen, warum wir auf unseren Schulen gerade am Griechischen und
Lateinischen und nidit am Chinesischen und Japanischen die Kunst des Verstehens er-
proben wollen.

Die Tagung stand unter dem Motto „Bildungswerte der Antike im Mythos, in der
Geschichte und in der Sprache“. Dem Mythos war der Festvortrag in der Eröffnungs-
sitzung gewidmet. Der Freiburger Romanist Professor Hugo Friedrich sprach über das
Verhältnis Dantes zur Antike. Er exemplifizierte das Thema an der Gestalt des Odys-
seus in der Danteschen Hölle. Ein ganz anderes Verhältnis zur Antike begegnet uns
hier, als wir von unseren Zeiten gewohnt sind. Dante hat Homer nicht gelesen. Man
las damals nicht Griechisch. Aber Odysseus hatte sich längst von den Gesängen Homers
abgelöst und trat Dante als exemplarische Gestalt aus der Allbekanntheit der lateini-
schen Bildungswelt entgegen. In ihr war er schon ein anderer geworden; Dante wird
ihn noch weiter verwandeln. Er versetzt ihn in die Hölle. Bei den Griechen hatten die
Listen des Odysseus noch die Anerkennung der Götter und Menschen gefunden. Für
Dante, der römischer und christlicher Ethik folgt, ist Odysseus ein „betrügerischer Rat-
geber“, also Sünder. Man hat sehr zu Unrecht in diesem Odysseus einen Vorläufer des
Kolumbus oder des Dr. Faust gesehen. Professor Friedrich interpretierte ihn statt des-

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