geschwundene Stellung des Altsprachlichen Gymnasiums von heute nur auf das immer
stärker in den Vordergrund tretende Nützlichkeitsdenken auch in schulischen Fragen
zurückzuführen oder positiv als eine Besinnung auf die uns, eigentümlichen, aus unserer
Kultur erwachsenen und darum uns adäquaten Ideale und Bildungsvorstellungen auf-
zufassen?
Um es vorwegzunehmen: Auch in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als das
Humanistische Gymnasium unter den Höheren Schulen fast absolut dominierte, stand
das Nützlichkeitsdenken bei den Eltern, die ihre Kinder ins Humanistische Gymnasium
schickten, weitaus im Vordergrund, genau wie heute. Es heißt z. B., daß mit den Alten
Sprachen im Riicken das Erlernen jeder modernen Sprache sehr viel leichter falle -
und dies ist in all den Fällen auch richtig, in denen es sich bei den modernen Sprachen
um romanische Sprachen handelt, die auf das Lateinische zurückgehen. Gerade deshalb
aber handelt es sich um eine Nützlichkeitserwägung, die mit dem humanistischen Bil-
dungsideal aber auch gar nichts zu tun hat.
Nicht anders steht es mit dem zugunsten des Altsprachlichen Gymnasiums häufig
gebrauchten Argument, daß das Altsprachliche Abitur den Weg zu jedem Hochschul-
studium eröffnet, während bei den Abiturzeugnissen anderer Gymnasiumstypen Son-
derprüfungen abgelegt werden müssen, z. B. beim Studium der Medizin. Abgesehen
davon, daß hierbei verschwiegen oder nicht gewußt wird, daß wer z. B. später Elek-
tronik, Physik usw. studiert, sich mit dem altsprachlichen Abitur zunächst sehr viel
schwerer tut als etwa mit dem eines mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums,
wird auch hier nur an das Nützlich-Praktische und nicht an ein humanistisches Bil-
dungsideal gedacht. Der gleichfalls ins Feld geführte bessere Umgang des Humanisten
mit Fremdwörtern oder gar der Glaube, wer ein Altsprachliches Gymnasium durch-
laufen habe, gehöre deshalb von vornherein zur sogenannten „Elite“ sind als Ausflüsse
des Prestigedenkens als Argumente für das Humanistische Gymnasium nicht ernst zu
nehmen und außerdem sind sie objektiv falsch. Eine sehr große Zahl von Fremdwörtern
und fremdsprachlichen Wendungen kommt heute aus lebenden Sprachen, vornehmlich
aus dem Englischen, und die allenfalls auS den alten Sprachen stammende Nomenklatur
bestimmter Disziplinen, z. B. der Medizin, Rechtswissenschaff oder der Philosophie,
wird von jedem Studierenden, gleichgültig welches Gymnasium er zuvor durchlaufen
hat, für sein Fachgebiet während des Studiums nahezu mühelos erarbeitet und be-
herrscht. Dagegen merken die Abiturienten Altsprachlicher Gymnasien sehr rasch, wenn
sie mit Studenten aus allen möglichen Ländern in den Hörsälen und Seminaren zu-
sammensitzen, wie wichtig für sie die bessere Kenntnis einer großen lebenden Sprache
wäre, und sie merken dies erst recht, wenn sie auf der Hochschule oder später im Beruf
sich mit fremdsprachlicher Fachliteratur beschäftigen, sich mit ihr auseinandersetzen und
die dort niedergelegten Kenntnisse sicli zu eigen machen müssen.
Mit dem Nützlichkeitsdenken ist daher die sinkende Frequenz unserer Altsprach-
lichen Gymnasien nicht zu erklären; das Niitzlichkeitsdenken überwog vielmehr auch
in der Zeit, als das Altsprachliche Gymnasium fast allein herrschte. Mag sein, daß dieses
Niitzlichkeitsdenken heute stärker ist als ehedem; aber dieses Stärkerwerden könnte
zumindest den rapiden Frequenzschwund, der sich in den Altsprachlichen Gymnasien
seit 1945 vollzieht und immer noch anhält, nicht zufriedenstellend deuten. Es muß
andere, weniger an der Oberfläche liegende Ursachen dieser Erscheinung geben.
Um hier einige Klarheit zu gewinnen, müssen wir uns vor Augen halten, daß keine
der großen Kulturen, die auf dieser Erde entstanden sind, vor einer anderen Kultur
eine so tiefe Verbeugung machte, wie die christlich-abendländische Kultur vor der
griechisch-römischen, d. h. der Antike. Indem wir uns seit den Tagen der Renaissance
der uns im Grunde fremden Welt der Antike mit einer unerhörten Inbrunst an die
Brust warfen, glaubten wir, den unaufhaltsamen fortschreitenden Reife- und Alterungs-
7
stärker in den Vordergrund tretende Nützlichkeitsdenken auch in schulischen Fragen
zurückzuführen oder positiv als eine Besinnung auf die uns, eigentümlichen, aus unserer
Kultur erwachsenen und darum uns adäquaten Ideale und Bildungsvorstellungen auf-
zufassen?
Um es vorwegzunehmen: Auch in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als das
Humanistische Gymnasium unter den Höheren Schulen fast absolut dominierte, stand
das Nützlichkeitsdenken bei den Eltern, die ihre Kinder ins Humanistische Gymnasium
schickten, weitaus im Vordergrund, genau wie heute. Es heißt z. B., daß mit den Alten
Sprachen im Riicken das Erlernen jeder modernen Sprache sehr viel leichter falle -
und dies ist in all den Fällen auch richtig, in denen es sich bei den modernen Sprachen
um romanische Sprachen handelt, die auf das Lateinische zurückgehen. Gerade deshalb
aber handelt es sich um eine Nützlichkeitserwägung, die mit dem humanistischen Bil-
dungsideal aber auch gar nichts zu tun hat.
Nicht anders steht es mit dem zugunsten des Altsprachlichen Gymnasiums häufig
gebrauchten Argument, daß das Altsprachliche Abitur den Weg zu jedem Hochschul-
studium eröffnet, während bei den Abiturzeugnissen anderer Gymnasiumstypen Son-
derprüfungen abgelegt werden müssen, z. B. beim Studium der Medizin. Abgesehen
davon, daß hierbei verschwiegen oder nicht gewußt wird, daß wer z. B. später Elek-
tronik, Physik usw. studiert, sich mit dem altsprachlichen Abitur zunächst sehr viel
schwerer tut als etwa mit dem eines mathematisch-naturwissenschaftlichen Gymnasiums,
wird auch hier nur an das Nützlich-Praktische und nicht an ein humanistisches Bil-
dungsideal gedacht. Der gleichfalls ins Feld geführte bessere Umgang des Humanisten
mit Fremdwörtern oder gar der Glaube, wer ein Altsprachliches Gymnasium durch-
laufen habe, gehöre deshalb von vornherein zur sogenannten „Elite“ sind als Ausflüsse
des Prestigedenkens als Argumente für das Humanistische Gymnasium nicht ernst zu
nehmen und außerdem sind sie objektiv falsch. Eine sehr große Zahl von Fremdwörtern
und fremdsprachlichen Wendungen kommt heute aus lebenden Sprachen, vornehmlich
aus dem Englischen, und die allenfalls auS den alten Sprachen stammende Nomenklatur
bestimmter Disziplinen, z. B. der Medizin, Rechtswissenschaff oder der Philosophie,
wird von jedem Studierenden, gleichgültig welches Gymnasium er zuvor durchlaufen
hat, für sein Fachgebiet während des Studiums nahezu mühelos erarbeitet und be-
herrscht. Dagegen merken die Abiturienten Altsprachlicher Gymnasien sehr rasch, wenn
sie mit Studenten aus allen möglichen Ländern in den Hörsälen und Seminaren zu-
sammensitzen, wie wichtig für sie die bessere Kenntnis einer großen lebenden Sprache
wäre, und sie merken dies erst recht, wenn sie auf der Hochschule oder später im Beruf
sich mit fremdsprachlicher Fachliteratur beschäftigen, sich mit ihr auseinandersetzen und
die dort niedergelegten Kenntnisse sicli zu eigen machen müssen.
Mit dem Nützlichkeitsdenken ist daher die sinkende Frequenz unserer Altsprach-
lichen Gymnasien nicht zu erklären; das Niitzlichkeitsdenken überwog vielmehr auch
in der Zeit, als das Altsprachliche Gymnasium fast allein herrschte. Mag sein, daß dieses
Niitzlichkeitsdenken heute stärker ist als ehedem; aber dieses Stärkerwerden könnte
zumindest den rapiden Frequenzschwund, der sich in den Altsprachlichen Gymnasien
seit 1945 vollzieht und immer noch anhält, nicht zufriedenstellend deuten. Es muß
andere, weniger an der Oberfläche liegende Ursachen dieser Erscheinung geben.
Um hier einige Klarheit zu gewinnen, müssen wir uns vor Augen halten, daß keine
der großen Kulturen, die auf dieser Erde entstanden sind, vor einer anderen Kultur
eine so tiefe Verbeugung machte, wie die christlich-abendländische Kultur vor der
griechisch-römischen, d. h. der Antike. Indem wir uns seit den Tagen der Renaissance
der uns im Grunde fremden Welt der Antike mit einer unerhörten Inbrunst an die
Brust warfen, glaubten wir, den unaufhaltsamen fortschreitenden Reife- und Alterungs-
7