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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 26.1983

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Nr. 1
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Parthe, Franz: Nachdenken über zwei Oberstufenreformen, [1]: eine kritische Festrede zum Mitschülerfest des Kaiser-Heinrich-Gymnasiums in Bamberg 1980
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https://doi.org/10.11588/diglit.33083#0025

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verzichten dürfen. Hätte nicht auch das dem Modell anhaftende Dogma21 von
der Gleichwertigkeit aller Fächer und Abiturprofile für die Entwicklung einer
„allgemeinen Studierfähigkeit“ überprüft werden müssen? Liegt nicht der fun-
damentale Irrtum in der Verwechslung der Prädikate: „gleichwichtig für die je-
weiligen Berufe“ und „gleichwertig für die Entwicklung einer allgemeinen Stu-
dierfähigkeit“?22 Hätte man die Schüler durch die sehr weite Öffnung und Indi-
vidualisierung des Abiturkanons dazu verleiten dürfen, sich die gymnasialen
Langzeitfächer mehr oder weniger aus dem Abiturprogramm zu schaffen, jene
Fächer, in denen die für alle Studiengänge bedeutsame muttersprachliche,
fremdsprachliche und mathematische Kommunikationsfähigkeit gefördert wird?
Der politische Kompromiß zwischen Gegnern und Befürwortern des
Gymnasiums und des gegliederten Schulssystems
Nun, die bloß „pragmatische Behandlung der Lernzielfrage“ lenkt unsere Auf-
merksamkeit auf den politischen Hintergrund, auf jenen Kompromiß zwischen
Feuer und Wasser, der dieser Oberstufe zugrundeliegt. Mit diesem Modell woll-
ten die einen das gegliederte Schulsystem aus den Angeln heben, die anderen
dieses Schulsystem und einen geordneten Zugang zu den Hochschulen noch
einmal retten.23 Das sehr offene Bekenntnis des früheren hessischen Kultusmi-
nisters von Friedeburg, daß mit dieser Oberstufe das Gymnasium tot sei, war gar
nicht nötig, um zu erkennen, daß mit ihr das trojanische Pferd der integrierten
Gesamtschule in den Mauern des gegliederten Schulsystems steht. (Fortsetzung
folgt)
Dr. Franz Parthe, Bamberg
21 Ein Dogma, das vom amerikanischen Pragmatismus übernommen wurde, der die Unter-
scheidung von Allgemeinbildung, spezieller und allgemeiner Studierfähigkeit und die
Reflexion des Verhältnisses dieser Ziele zueinander vernachlässigt.
22 Bei einer Neuvermessung des Modells sollte man auch bedenken, daß das Punktever-
hältnis zwischen einem 6stündigen LK und einem 3stündigen GK.(225:30 oder 7,5:1)
nicht sehr zur Allgemeinbildung motiviert, man sollte ferner berücksichtigen, daß
Fächer, die zur Stoffvermittlung und -Vertiefung auch noch eine Einübung leisten müs-
sen, ein-größeres Stundenmaß benötigen.
23 Heinrich Roth, ein Befürworter der Gesamtschule als „der besten Schulform für alle“,
will in ihrem „differenzierten wie einheitlichen Angebot“ das „Gymnasiale“ integrie-
ren. Dabei bestimmt er das „Gymnasiale“ so, daß diese Bestimmung auch auf die
Hauptschule zutrifft: „Was ich das Gymnasiale genannt habe und für unverzichtbar
halte, war der ständige Versuch der Gymnasien, wissenschaftsoffen zu bleiben und das
wissenschaftliche Denken mit dem humanitären zu vereinen.“ Vgl. Zschr. Die deutsche
Schule, 9/68, S. 570ff. - Hingegen greift der Referentenentwurf des Bayer. ISP lange
nach der Einführung des Modells wieder auf die Theorie des Gymnasiums von W. Flitner
zurück; danach sind die Leitziele des Gymnasiums: 1. Allgemeine Studierfähigkeit, 2.
erweiterte und philosophisch vertiefte Bildung an komplexen Erscheinungen und Zu-
sammenhängen in Kultur, Natur und Gesellschaft, 3. Fähigkeit zur Selbstbestimmung in
sozialer Verantwortung. Vgl. ANREGUNG 20/1974 S. 217-220. Fraglich ist nur,
wie man die Ziele 1 und 2 in der „reformierten Oberstufe“ mit einer Grundkurs-
verpflichtung erreichen will, die dem Fächerkanon der Hauptschule entspricht, und mit
einem Differenzierungsmodell, das eine fächerübergreifende philosophische Vertiefung
verhindert.

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