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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 26.1983

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Nr. 2
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Munding, Heinz: Eine Lanze für Cäsar, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33083#0037

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Eine Lanze für Cäsar

(Vgl. Barie, P.: aut Caesar aut nihil? - 10 Thesen zur Dominanz des Bellum Gallicum auf
der Mittelstufe, in: MDAV 4/1982, 7-11)
Formell will Barie zwar die Cäsarlektiire nicht gänzlich abschaffen oder ,,desavouieren“
(Nr. 10), aber man spürt doch, daß er sie persönlich nicht mag und am liebsten von den
Lehrplänen der Mittelstufe abgesetzt sehen würde; er denkt darin ähnlich wie z. B. M.
Fuhrmann. Dem steht die schweigende Zahl der Kollegen gegenüber, die trotzdem immer
noch das Bellum Gallicum auf der Mittelstufe lesen, und zu denen auch der Verfasser die-
ser Zeilen gehört. Daß sich auch dafür diskutable Gründe anführen lassen, sei im folgenden,
z. T. durch allzu pointierte Formulierungen Baries angeregt, durch vier Gegen-Thesen an-
zudeuten versucht.
1. Was Barie kritisch als die „fast totale Kohärenz“ des Cäsartextes bezeichnet
(Nr. 1), beruht m. E. weniger auf einer speziellen „Attitüde“ Casars, als auf der
Folgerichtigkeit eines Denkens, das sich in Übereinstimmung mit den Anschau-
ungen der Mehrzahl der damals in Rom politisch Verantwortlichen befand.
Dies bestätigt kein Geringerer als Cicero: „Atque etiam commentarios quosdam
scripsit (Caesar) rerum suarum. — Valde quidem, inquam, probandos; nudi
enim sunt, recti et venusti, omni ornatu orationis tamquam veste detracta“
(Brut. 72, 262). Diesen römischen Consensus unter die Kategorie des „Ideolo-
gischen“ zu subsumieren (vgl. Baries Anm. 1), haben wir m. E. kein Recht,
oder wir machen uns damit die Sache jedenfalls zu leicht. Als Lateinlehrer bin
ich der Meinung, daß es sich lohnt, den politischen Denkstil des Bellum Gallicum,
auch wenn wir uns mit ihm persönlich nicht identifizieren können, als ein
exemplarisches Stück römischer Mentalität im Unterricht zur Kenntnis zu
nehmen und zu studieren.
2. Exemplarisch ist dieser Denkstil auch noch für die Gegenwart, und zwar
im Sinne eines „so wird auch heute faktisch noch verfahren“: noch immer ist
es ein Spezifikum von Texten, in denen sich der (sc. außenpolitische Wille
von Staaten artikuliert, gleichsam reißbrettartig „die Wirklichkeit auf das
machtpolitisch Relevante zu reduzieren“ (Nr. 2).1 Deutlich wird dies z. B. bei
den derzeitigen internationalen Debatten über Rüstung hzw. Abrüstung und
den damit verbundenen Zahlenspielen. Ich halte es für einen wichtigen Bei-
trag des Lateinunterrichts zur staatsbürgerlichen Aufklärung, diesen Denkstil,
mit dem man heute in fast jeder Nachrichtensendung konfrontiert wird, dem
Schüler als Teil seiner Lebenswirklichkeit anhand des Bellum Gallicum gewis-
sermaßen modellhaft in den Blick und damit zum Bewußtsein zu bringen.2
1 Baries anschließender Satz: „Sprache und Stil des Bellum Gallicum suggerieren jungen
Menschen die Möglichkeit einer Reduktion geschichtlicher Phänomene auf der Prag-
matik der Macht“ scheint mir eher aus der Perspektive des wissenschaftlichen Histori-
kers als im Blick auf einen heranwachsenden jungen Staatsbürger formuliert zu sein,
der wissen will, wie es „die da oben“ eigentlich machen.
2 Vgl. Munding, H.: Politische Bildung und Cäsarlektüre, in: AU 15, 5, 1972, 26-43;
ders.: „Existentieller Transfer“ bei lateinischen Historikern, in: Anregung 20, 1974,
292-363.

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