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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 26.1983

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Nr. 3
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Prutscher, Uwe: Zur Briefliteratur im Lateinunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.33083#0067

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Zur Briefliteratur im Lateinunterricht
Die intensive Lektürediskussion der letzten 15 Jahre insbesondere für den Be-
reich der Übergangs- und Anfangslektüre hat die lateinische Briefliteratur deut-
licher ins Blickfeld gerückt. An Schulausgaben der Briefe Ciceros, Plinius’ oder
Senecas zum Beispiel herrschte bereits vorher kein Mangel, auch die bekannten
Textsammlungen und Lesebücher für den Lateinunterricht messen den Briefen
unterschiedlichen Raum zu. Freilich tut sich ein Zwiespalt auf zwischen der
Opulenz der bereitgestellten Materialien und ihrem tatsächlich planmäßigen Ein-
satz im Unterricht. Kein Lehrplan, der auf sich hält — und sei es die embryonale
Vorhut curricularer Verheißungen mit bekanntem Übermutsbonus oder die
karg kaschierte Revisionsleiche zerstäubter Illusionen — will heute auf die
Mehrzweckwaffe Brief verzichten. Entsprechend weit gestreut sind Zielfelder
und empfohlene Einsatzorte: Vielseitigkeit als pragmatischer Euphemismus für
Unsicherheit oder gar Hilflosigkeit gegenüber der Konsistenz und Eigendyna-
mik einer respektablen Gattung?
Auch im Vorspann zu den für die Praxis recht hilfreichen Themen- und
Text Vorschlägen zur Brieflektüre im Lateinunterricht, die Karin Seiffert kürz-
lich gemacht hat1, haftet an den Briefen weiterhin der zweifelhafte Charme des
tüchtigen Lückenbüßers: oft geringer Umfang, Hoffnung auf leichtere Struk-
turierbarkeit der Texte und thematische Begrenzung scheinen Briefe für die
ihnen zugewiesene Feuerwehrfunktion zu prädestinieren. Doch genauer be-
trachtet sind solche Kriterien eher äußerlicher Natur, mehr aus Praxisnöten an
die Gattung herangetragen als in ihr selbst manifest.
Bekanntlich reicht die ,Kleingattung' Brief weit und überdacht recht dispa-
rates Material: vom knappen Billett über umfangreiche Mitteilungen, Reskripte,
Denkschriften, Lehrveranstaltungen, Essays, literarisierte Pretiosen, poetische
Briefe bis hin zur parodierenden Fiktion. Die fundamentale Position des Brief-
schreibers: cum absente loqui — dieser institutionalisierte Widerspruch des
halbierten oder zeitlich versetzten Dialogs mit dem Adressaten drängt sich als
Hohlform geradezu auf, wenn es darum geht, auch nicht'briefspezifischen In-
halten durch Dialogisierung dramatische Intensität zu geben. Das gilt exempli
gratia für Sallusts Epistulae ad Caesarem (ob ,echt‘ oder nicht) nicht minder als
für die Luciliusbriefe Senecas. Die inhaltliche und formale ubertas der Gattung
ist zugleich die crux der didaktischen Ortsbestimmung — so lange dabei eine
extrinsische Steinbruchmentalität oder aus Alltagszwängen durchaus verständ-
liche Beutegesinnung mitschwingt, werden wir dem Briefgenus nicht gerecht.
Zunächst müßte zwischen authentischen Briefen, kernauthentischen aber
literarisch nachredigierten Zwischenformen wie zum Beispiel bei Plinius und
evidenten Brieffiktionen unterschieden werden. Daß uns die Brieftopik hierfür

1 Karin Seiffert: Themen- und Textvorschläge zur Brieflektüre im Lateinunterricht, in:
Latein und Griechisch in Berlin. Mitteilungsblatt des Landesverbandes Berlin im DAV.
XXV1/2, 1982, S. 18-23.

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