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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0053
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LEBEN IM GRABE

Reich, und es ist nicht zu viel, wenn ich sage: Wir sind in
einem alten Reich gewesen. In Gräbern, in denen man sich
nicht begraben fühlte; Gräber ohne Moder, ohne Wurm,
ohne Gespenster, wohnliche Gräber. Rabuschka wollte zu-
erst nicht mit hinein und ließ sich dann häuslich nieder.
Die Toten im alten Ägypten besaßen ganze Villen mit zahl-
reichen Räumen, Vorhallen, Empfangszimmern, Sälen und
Kabinetten, deren Eestimmung ein bildliches Gedächtnis
war. Man baute lange an so einem Haus, viele Jahre, wo-
möglich Jahrzehnte, und gewöhnte sich daran. Es wuchs
zusammen mit dem Dasein draußen und nahm die Erleb-
nisse in Bildern auf, wurde nach und nach so voll von
Leben, daß es beim Tode reich war. Alles, was das Dasein
ausfüllte, kam in die getönten Flachreliefs der Wände;
das Treiben auf den Gütern, Säen, Ernten, Einbringen
des Getreides und der Frucht, Bäckerei, Viehwirtschaft
mit den verschiedenen Herden, Molkerei, Schlachten,
Fischteich; die Fahrten auf dem Nil, Jagd, die Zölle der
Verwalter, Tribute der Bauern und Bäuerinnen, das Ge-
mache der Handwerker, Tanz und Spiel. Und immer der
Herr dazwischen, hoch von Wuchs, edel von Antlitz, ge-
lassen und freundlich; so Ptahotep, der unter der fünften
Dynastie Minister war, so Ti, der Baumeister der könig-
lichen Pyramiden, so Mereruka.

Auch das konnten die Pyramidenleute. Mit der Geo-
metrie vertrug sich das linde Spiel dieser Bilder; Spiel
von Kindern, die nur Profile können und sich mit dieser
einzigen Dimension auszudrücken wissen. Man sucht sich
Stellungen, die im Umriß erschöpft werden, macht den
Umriß so wirksam wie möglich, und es entsteht die Illu-
sion, die Welt habe nur die eine Seite, die man zeichnen
und mit leichtem Druck der Pland auf den gefügigen
Kalkstein modellieren kann; eine in parallelen Reihen ge-
sehene Welt, sehr einfach, übersichtlich, trotzdem leben-
dig. Die Wiederholung des Details sorgt für den Rhythmus

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