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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0175
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RENAISSANCE DER RENAISSANCE

das Land bewässert, so läuft eigentlich nur ein Stil durch
die Kunst. Er hat gleich dem Nil viele Krümmungen, und
sie bringen mannigfaltige Aspekte hervor, aber das Ele-
ment ist im ganzen Verlauf dasselbe. Es gibt nur eine
urschöpferische Periode, die erste. Alles folgende ist Re-
naissance. Man kann die erste Renaissance, die des Mitt-
leren Reichs als eine höchst respektable Tätigkeit ver-
stehen, die viele Kanäle baut und Strecken, die vorher
ungenügend bedacht waren, bereichert. Das eifrige Re-
mühen wird mit Glücksfällen belohnt, aber hervorragende
Höhen vermögen die Schwächung des Durchschnitts nicht
zu verbergen. Das Neue Reich ist eine Renaissance der
Renaissance. Eigentlich werden nur die Nachteile der un-
mittelbar vorhergehenden Zeit vergrößert. Die Architektur
rückt mit riesigen Rauten ganz in den Vordergrund. Die
Pfeilerstatuen wachsen ins Ungeheure, und der Massen-
verbrauch von Kolossalgestalten in den Tempeln vulgari-
siert das Handwerk. Die Architektur, bei uns die Mutter
der Plastik, scheint in Ägypten zu ihrem Mörder geworden.
Wenn etwas übrigblieb, ist es nicht ihre Schuld, sondern
der Widerstandskraft des Urkeimes zu danken. Tatsäch-
lich blieb etwas. Selbst dem Massenbetrieb des Neuen
Reichs hat die Kunst, freilich mit schweren Einbußen,
immer noch erstaunlich lange standgehalten.

AuchWerden undVergehen diesesgewaltigenlmperiums
geht nicht nur unser Interesse an der alten Geschichte
an, sondern bringt von einer neuen Seite ein Äquivalent
unseres eigenen Schicksals. Das Mittlere Reich ging an
Differenzierung zugrunde; Differenzierung der staatlichen
Struktur, die zur Zersplitterung der Kräfte führte, Diffe-
renzierung der Kultur. Mir erscheint das Ägypten der
zwölften Dynastie immer als eine Sammlung von unge-
mein legitimen Instinkten, die nur, weil sie zu ungehemmt
herrschten, zum Niedergang führten. Man könnte sich vor-
stellen, es habe damals zu viel Denker, Dichter, Künstler,

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