NEUES REICH
bereitet. Die Größe des Steins hatte nichts von Massen-
produkt, sondern eine rätselhafte Grazie. Unter dem fein-
gerippten Gewand regte sich ein jugendlicher Körper von
welterobernder Anmut. Die Anmut überwand das Format,
und der Stein überwand das Ägyptische. Eine Jugend von
rührender Zartheit lächelte mit Hoheit und vertraulich,
lächelte mit der Eleganz eines Menschen, der überall seine
Atmosphäre um sich hat, dem nichts in der Zeit, selbst im
20. Jahrhundert unbekannt ist, lächelte urban. Ich fuhr
nachher nach Florenz und Rom. Der Ramses fuhr immer
mit, und sein Lächeln hemmte die gewohnte Trunkenheit
vor dem Quattrocento und Cinquecento und mahnte an
höheren Anspruch. Das war für mich das erste Zeichen.
Unbegreifliche Erhaltung künstlerischer Kraft. Im toll-
sten Massenschwindel größenwahnsinniger Weltherr-
schaft kommt immer wieder die Rasse zum Vorschein und
streift alles Proletarische ab.
Fast ein Jahrtausend später ist Rerlins Stolz, „Der
grüne Kopf“, entstanden, nach der Eroberung des Reichs
durch Alexander den Großen, als die Ptolemäer in Ägyp-
ten saßen. Man könnte sich, befangen von der Strenge
dieser gemeißelten, geschlichteten, gezirkelten Sachlich-
keit, fragen, ob es angeht, die Epoche eines solchen Wer-
kes für Niedergang zu halten. In dem winzigen Kopf aus
grünem Schiefer sammelt Ägypten noch einmal glänzende
Reste. Nicht nur der Turiner Ramses erscheint als Anver-
wandter, man glaubt sogar ein Echo frühester Dynastien
zu spüren. Wohl mögen uns die Fortschritte der Darstel-
lung im Kleinwerk des Porträts als unzureichender Ersatz
für den Verlust an standbildhafter Größe erscheinen, doch
bändigt den Naturalismus immer noch der urägyptische
Instinkt für das Volumen des Hauptes. Es gibt Fachleute,
die den Grünen Kopf für griechisch halten, weil sie sich
von Merkmalen der Sachlichkeit, die auch der späten
Antike geläufig sind, verleiten lassen. Nie bringt ein
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bereitet. Die Größe des Steins hatte nichts von Massen-
produkt, sondern eine rätselhafte Grazie. Unter dem fein-
gerippten Gewand regte sich ein jugendlicher Körper von
welterobernder Anmut. Die Anmut überwand das Format,
und der Stein überwand das Ägyptische. Eine Jugend von
rührender Zartheit lächelte mit Hoheit und vertraulich,
lächelte mit der Eleganz eines Menschen, der überall seine
Atmosphäre um sich hat, dem nichts in der Zeit, selbst im
20. Jahrhundert unbekannt ist, lächelte urban. Ich fuhr
nachher nach Florenz und Rom. Der Ramses fuhr immer
mit, und sein Lächeln hemmte die gewohnte Trunkenheit
vor dem Quattrocento und Cinquecento und mahnte an
höheren Anspruch. Das war für mich das erste Zeichen.
Unbegreifliche Erhaltung künstlerischer Kraft. Im toll-
sten Massenschwindel größenwahnsinniger Weltherr-
schaft kommt immer wieder die Rasse zum Vorschein und
streift alles Proletarische ab.
Fast ein Jahrtausend später ist Rerlins Stolz, „Der
grüne Kopf“, entstanden, nach der Eroberung des Reichs
durch Alexander den Großen, als die Ptolemäer in Ägyp-
ten saßen. Man könnte sich, befangen von der Strenge
dieser gemeißelten, geschlichteten, gezirkelten Sachlich-
keit, fragen, ob es angeht, die Epoche eines solchen Wer-
kes für Niedergang zu halten. In dem winzigen Kopf aus
grünem Schiefer sammelt Ägypten noch einmal glänzende
Reste. Nicht nur der Turiner Ramses erscheint als Anver-
wandter, man glaubt sogar ein Echo frühester Dynastien
zu spüren. Wohl mögen uns die Fortschritte der Darstel-
lung im Kleinwerk des Porträts als unzureichender Ersatz
für den Verlust an standbildhafter Größe erscheinen, doch
bändigt den Naturalismus immer noch der urägyptische
Instinkt für das Volumen des Hauptes. Es gibt Fachleute,
die den Grünen Kopf für griechisch halten, weil sie sich
von Merkmalen der Sachlichkeit, die auch der späten
Antike geläufig sind, verleiten lassen. Nie bringt ein
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