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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0271
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DER IRRTUM

als man ahnt. Eine geringere Widerstandsfähigkeit der
Natur läge im Interesse des Tempels.

Man muß sich vorstellen, wie es einmal war. Heute ver-
stimmt am Äußeren die geringe Räumlichkeit der Stu-
fungen. Das rührt bis zum gewissen Grade von der Zer-
störung her, denn die Anlage beschränkt sich jetzt im
wesentlichen auf die mit der Felswand parallel laufenden
Kolonnaden und ist gerade in den vorspringenden, die Tiefe
betonenden Teilen vertikal zur Felswand, apokryph. Na-
türlich betonen die Längskolonnaden das Flächige und
heben sich nicht genügend von dem Hintergrund ab. Die
Natur droht das Menschenwerk aufzusaugen. Ursprüng-
lich waren die Terrassen scharf begrenzte Rechtecke, und
die Stufungen gingen viel weiter in die Ebene hinein. Es
gab den berühmten Garten, für dessen Räume Hatsche-
psut, wie die Rilder im Innern berichten, Expeditionen in
ferne Lande unternahm, und dieser heute verschwundene
Garten kann eine schwache Hilfe gewesen sein. So fehlt
die Sphinxallee, die am Rande des Fruchtlandes begann
und zum Tempel aufstieg. Vor allem aber gab es in der
Zeit der Hatschepsut noch den alten Tempel aus dem
Mittleren Reich, hart neben dem neuen, heute fast rest-
los zerstört, und wenn auch die enge Nachbarschaft zweier
Rauten aus verschiedenen Zeiten immer bedenklich bleibt,
mag sie die Tiefenwirkung gefördert haben. Nehmen wir
das an und lassen wir alle aus dem ursprünglichen Zu-
stand der Anlage abzuleitenden günstigen Umstände in
vorteilhaftester Aktion, so wird es doch nie gelingen, aus
Natur Kunst, aus Kunst Natur zu gewinnen. Ich glaube
fast, daß der intakte Zustand aller Mittel und Mittel-
chen die Diskrepanz nur noch klaffender erscheinen
ließ.

An die Struktur der Felsenwand mit ihren oben gleich-
mäßig abgesclmittenen Vertikalen reicht kein mensch-
liches Baumittel heran. Man kann sie besingen, kann

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