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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0334
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SIEDLUNGEN

ging ein Polizist voraus, natürlich ein jüdischer Poli-
zist. Sonst war keiner zu sehen trotz der schwierigen Zir-
kulation. Wir mußten halten. Der Ordnungsdienst wurde
von Arbeitern versehen. Junge Leute hielten sich an den
Händen und bildeten auf beiden Seiten der Straße wan-
delnde Ketten um den Leichenzug. Der Sarg unter schwar-
zem Tuch wurde getragen. Das Spalier von Händen hatte
größere Würde als irgendein Begräbnis erster Klasse bei
uns. Unser Auto blieb außerhalb des Reigens.

Wir haben alle Städte Palästinas besucht, auch Haifa,
die schönste und am meisten versprechende. Auf dem Kar-
mel steht ein Hospiz unserer Schwestern. Die Aussicht
auf den Golf hat den Psalmisten begeistert. Eine Stunde
Fahrt südlich liegt Atlith mit der Kreuzfahrerburg. Die ge-
waltige Bogenfassade grüßte die Seefahrer aus Frankreich
und Deutschland mit heimatlichen Formen. Das Land hat
seit den Ägyptern viele Menschen, viel Bilder gesehen,
viele Schreie der Entzückung und Flüche in allen Spra-
chen vernommen. Den gelobten Boden düngten Meere von
Blut. Von allen Pilgern sind die Kreuzfahrer doch wohl
die verwegensten gewesen. In den gotischen Spitzbogen-
skeletten prangt immer noch der phantastische Traum
eines christlichen Königreichs. Wir stiegen in unterirdi-
schen Gewölben von gewaltigen Maßen herum. Ich sah
geduckte Brillengesichter in den Winkeln und bildete mir
ein, eine Rüstung zu tragen und befugt zu sein, den Win-
keln unser Mittelalter zu preisen.

Babuschka unterbrach mich: Diese mittelalterlichen
Kerle hatten nach Noten gemordet und geplündert, und
ihr Christentum erhob sich auf wüsten Pogromen! Sie
kann Ritter nicht ausstehen.

Jenseits von Haifa, nach Norden hin, liegt Akko, wo die
Kreuzfahrer zu landen pflegten. Hermann Struck, der
Maler und Zionist, den wir in Haifa besuchten, führte uns
hin. Man fährt in feuchter Düne hart neben den Wellen.

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