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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0408
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NATIONALMUSEUM

werden, brauche ich nur an die Flora Poussins oder eine
nackte Venus Renoirs oder an Daphnis und Chloe Bon-
nards zu denken, um mich des unverlierbaren Hellenen-
tums zu versichern. Beim Anblick des Ganymeds vonMarees
rauscht der Äther, und Adlerflügel tragen das Idol zu den
Sternen. Aus flüchtigen Rötelzeichnungen mit Amazonen
und sprengenden Rossen entstehen Metopen unseres Par-
thenons. Womöglich ist das des ganzen Rätsels Lösung,
und wer sie fürchtet, soll zu Hause bleiben. Nie könnte
eine wirkliche Akropolis, auch wenn es nicht die Bomben
Morosinis und seines Lüneburger Leutnants gegeben hätte,
die Geträumte ersetzen. Viele Generationen, Jahrhunderte,
Jahrtausende haben mit einer unsichtbaren Venus korre-
spondiert. Ihre Phantasie ergänzte den Verkehr und irrte
sich nicht. Das ist anzumerken: sie irrten sich nicht. Die
akademischen Apollos und die geputzten Athenen sind
ganz gewiß keine Meisterwerke, und die Leute, deren Kri-
tik von dem Idol bestochen wird, glauben nicht daran und
lieben es nicht. Doch bin ich nicht umsonst hierher ge-
kommen und bereue keine der sauren Stunden in den
öden Museen. Auch die Grabeskirche in Jerusalem und
die Kirche in Bethlehem und die ausgestopften Biester in
den Bäumen am Jordan haben ihr Gutes. Die Unzuläng-
lichkeit solcher Zeugnisse verdichtet das Symbol, und der
Betrachter vermag noch Würze aus der Enttäuschung zu
gewinnen, weil sie seine Widerstände stählt.
 
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