MOSAIKEN
Zeit es auch sei, erst seine Ansprüche legitimieren muß.
Man erlaubt sich, mit Raffael zu diskutieren, untersucht
den Grad von Intensität, schlägt in der Erinnerung nach,
wo das Motiv etwa schon vorkommt, und streicht die
schwächere Fassung. Man ist pietätlos und kleinlich und
kontrolliert selbst Hauptwerke immer wieder. Ein Mosaik
passiert unangefochten, und obwohl es stets etwas bereits
Gesagtes wiederholt, nimmt man jedesmal den Hut ab
und glaubt an Offenbarung. Der Ursprung dieser Bilder
ist bekannt. Sehr verspätete Nachkommen der Griechen,
denen wir die Tempel und Statuen verdanken, haben die
Bilder mit Steinchen zusammengesetzt; namenlose, höchst
unpersönliche Handwerker. Ihre Kunst kommt nicht in
Betracht. Ein Atom dieser Erstarrung würde uns genügen,
um die anderthalb Jahrtausende vorher entstandenen
Bildwerke derselben Rasse, desselben Bodens zu bekritteln
und zu verwerfen, und das von keiner Persönlichkeit be-
lebte Plandwerk, das in den Mosaiken restlos befriedigt,
scheint uns, sobald es in der antiken Plastik erscheint,
Sünde gegen den Geist der Kunst, und kein Ruhm der
Jahrtausende vermag unsere Empfindlichkeit zu betäu-
ben.
Nicht dem Mosaik als solchem kommt diese betörende
Wirkung zu, denn wir reagieren durchaus nicht ebenso
gefällig auf die Mosaikdekorationen der Antike. Heid-
nische Mosaiken haben immer etwas von ausgefallener
Handarbeit, und manchen Besucher Neapels läßt der Na-
turalismus der Alexanderschlacht kalt. Es kann auch
nicht allein das Lineament sein, denn an welchem Stil
der Bilder aller Zonen und Völker hätte man sich nicht
schon längst die Hörner abgelaufen! Vielleicht das Gold.
Die glitzernde Fläche behielte auch ohne Gestalt mysti-
schen Zauber genug. Dann also würden wir einem grob
materiellen Mittel unterliegen. Das ist es nicht; denn die
frühchristlichen, viel weniger strengen Mosaiken Italiens,
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Zeit es auch sei, erst seine Ansprüche legitimieren muß.
Man erlaubt sich, mit Raffael zu diskutieren, untersucht
den Grad von Intensität, schlägt in der Erinnerung nach,
wo das Motiv etwa schon vorkommt, und streicht die
schwächere Fassung. Man ist pietätlos und kleinlich und
kontrolliert selbst Hauptwerke immer wieder. Ein Mosaik
passiert unangefochten, und obwohl es stets etwas bereits
Gesagtes wiederholt, nimmt man jedesmal den Hut ab
und glaubt an Offenbarung. Der Ursprung dieser Bilder
ist bekannt. Sehr verspätete Nachkommen der Griechen,
denen wir die Tempel und Statuen verdanken, haben die
Bilder mit Steinchen zusammengesetzt; namenlose, höchst
unpersönliche Handwerker. Ihre Kunst kommt nicht in
Betracht. Ein Atom dieser Erstarrung würde uns genügen,
um die anderthalb Jahrtausende vorher entstandenen
Bildwerke derselben Rasse, desselben Bodens zu bekritteln
und zu verwerfen, und das von keiner Persönlichkeit be-
lebte Plandwerk, das in den Mosaiken restlos befriedigt,
scheint uns, sobald es in der antiken Plastik erscheint,
Sünde gegen den Geist der Kunst, und kein Ruhm der
Jahrtausende vermag unsere Empfindlichkeit zu betäu-
ben.
Nicht dem Mosaik als solchem kommt diese betörende
Wirkung zu, denn wir reagieren durchaus nicht ebenso
gefällig auf die Mosaikdekorationen der Antike. Heid-
nische Mosaiken haben immer etwas von ausgefallener
Handarbeit, und manchen Besucher Neapels läßt der Na-
turalismus der Alexanderschlacht kalt. Es kann auch
nicht allein das Lineament sein, denn an welchem Stil
der Bilder aller Zonen und Völker hätte man sich nicht
schon längst die Hörner abgelaufen! Vielleicht das Gold.
Die glitzernde Fläche behielte auch ohne Gestalt mysti-
schen Zauber genug. Dann also würden wir einem grob
materiellen Mittel unterliegen. Das ist es nicht; denn die
frühchristlichen, viel weniger strengen Mosaiken Italiens,
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