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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0119
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118

II Charakteristika der Kirchenreform des 11. Jahrhunderts

ecclesia cluniacensis teilhaben.635Ihnen blieb nur die inhaltliche Orientierung an
Cluny. Daraus resultierten ambivalente, aber weitgehend positive Beziehungen
zu bischöflichen und vor allem adligen Kreisen, welche insbesondere ab 1080 zur
Ausformung der ecclesia cluniacensis beitrugen.636
Die Bewertung des als lothringisch-gorzisch bezeichneten „Reformkreises"
unterlag einer nachhaltigen Wandlung. Gegenüber der Ansicht Sackurs, loth-
ringische und cluniazensische Reformbemühungen seien als eine Bewegung
aufzufassen, konstatierte Hallinger pointiert die ideelle Eigenständigkeit loth-
ringischer Reformgedanken gegenüber Cluny und mithin eine von Gorze aus-
gehende eigene Traditionsbildung.637 Zwischen beiden Sichtweisen vermittelnd
entwickelte sich die moderne gemäßigte Haltung: Der Pluralismus konkurrie-
render Reformanschauungen entzöge sich zwar einer einheitlichen Beurteilung,
indes müsse das Verbindende zwischen den Bewegungen in Burgund und
Lothringen betont werden. Unterschiede seien weniger spiritueller als vielmehr
struktureller Art und vor allem hinsichtlich Verbandsbildung sowie laikalen
Einflusses festzustellen.638
Deutlich tritt dies in der Person Abt Poppos von Stablo-Malmedy hervor, der
bei seinen Reformen inhaltlich eher Cluny zuneigte, strukturell indes lothringi-
sche Gewohnheiten an den Tag legte.639 „Poppo übernahm offenbar von beiden
Reformkreisen, was ihm brauchbar erschien, und konnte durch seinen persön-
lichen Einsatz die von ihm übernommenen Klöster zu einem eigenen lockeren

635 Wollasch, Cluny 1992, S. 31. - Zur Bezeichnung ecclesia cluniacensis für die Zeit vor 1200 ge-
genüber dem Ordo-Begriff Wollasch, Mönchtum 1973, S. 157f.
636 Vgl. Wollasch, Cluny 1992, S. 22-29; Diener, Verhältnis 1959; die Legation Petrus Damianis 1063
im Auftrag Papst Alexanders II. nach Cluny, um die Rechte der Abtei gegenüber dem Ortsbi-
schof von Mäcon zu verteidigen (s. unten S. 168). - Über die „enge Verbindung zu den Adeligen
der Region" berichtete Poeck, Abbild 1998, das Zitat auf S. 117. Vgl. auch Kohnle, Chmiazen-
serklöster 1998, besonders S. 478. Speziell für den Oberrhein vgl. Lamke, Chmiacenser 2009.
637 Hallinger, Gorze 2 1950, besonders S. 983. - Kritisch zu Hallingers antithetischem Gegensatz
zwischen Gorze und Cluny Th. Schieffer, Reformbewegung 1952, vgl. zusammenfassend
Hochholzer, Reform 1999, S. 43f. Bereits Sabbe, Notes 1928 hatte sich gegen eine gedankenlose
Gleichsetzung lothringischer und burgundischer Reformen ausgesprochen.
638 Vgl. aus der Vielzahl der Vertreter dieser Anschauungen nur Wollasch, Cluny 1992; M. Werner,
Wege 1989, S. 261; Laudage, Priesterbild 1984, S. 125-130 mit umfangreicher Literatur S. 127.
639 Die von Poppo geforderte Askese und Regelgebundenheit glich eher chmiazensischen Ge-
wohnheiten (Cowdrey, Cluniacs 1970, S. 192); dafür spräche auch, dass ein Großteil seiner
Klöster bald ohne größere Probleme chmiazensisch wurde, doch gingen andere in die Hand von
Gorze über. Das größte Manko bilde neben der geringen Zahl der Quellen die geringe Infor-
mationsdichte darüber, auf welche Weise Poppo tätig geworden sei, so Schäfer, Studien 1991, S.
116. Die breite Unterstützung in Adel, Episkopat und Königtum, die als Kennzeichen lothrin-
gischer Reformen gilt, wird bereits in einer Auswahl deutlich: Erzbischof Poppo von Trier legte
sein Euchariuskloster und Pfalzgraf Ezzo seine Stiftung Brauweiler in die Hände des Reformers
(s. unten Abschnitt VI.3.8); Graf Balduin IV. von Flandern unterstützte Poppo aktiv bei der
Reform von St. Vaast in Arras (Schäfer, S. 120); für Kaiserin Gisela und Konrad II. sollte er eine
klösterliche Gemeinschaft in Limburg aufbauen (ebd., S. 62f.). - Zu Poppo zusammenfassend
unten Abschnitt VI.3.8.
 
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