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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0294
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III.4 Chronologische Aspekte

293

Insgesamt ähnelt die zeitliche Entwicklung der Kirchenreform der für die
Simonie in Abschnitt II.2.3 exemplarisch beschriebenen, da dieser Themenbe-
reich zu den am häufigsten diskutierten gehört. Erweitert man den Blick auf
sämtliche Reformthemen, sind bis auf quantitative Unterschiede kaum wesent-
liche Verschiebungen zu bemerken. Dies weist darauf hin, dass auch die übrigen
Reformthemen eine analoge Entwicklung nahmen, die folgendermaßen aussah:
Der Reformdiskurs stellt sich bis zu Beginn der 1030er Jahre als lokal, ver-
einzelt, unverbunden und zwischen maximal vier Personen stattfindend dar,
wobei eine einzige politisch hochangebundene causa für intensive Diskussionen
in den 1020er Jahren sorgte (Abb. 68f.) Laien, Kleriker wie Religiöse waren etwa
gleichrangig beteiligt, aktiv wie passiv.
Im Folgenden erhöhte sich weniger die Zahl der Anlässe als vielmehr die der
jeweils kommunizierenden Personen (Abb. 70f.). Offensichtlich stieg also das
Interesse an Reformthemen und damit der lokale Vemetzungsgrad. Indes hielten
sich Kontakte über größere Entfernungen hinweg sehr in Grenzen.
Erst das päpstliche und königlich-kaiserliche Engagement 1046 und 1049
bewirkte eine plötzliche und massive Quantitäts- wie Verflechtungszunahme in
überregionalem Umfang (Abb. 72), bedingt vor allem durch parallele Ansprache
und Verpflichtung von Klerikern und Religiösen im Rahmen institutioneller
Strukturen. Allerdings blieben diese zu größten Teilen einseitig, so dass kein
wechselseitiger Austausch zustande kam. Augenscheinliches Ziel war ein seitens
Papsttum und Kaisertum über die Amtsstrukturen von oben nach unten lau-
fendes Einbringen der neuen Ideen in die Kirchengemeinden. Laien hingegen
wurden nur in geringem Maße von der Obrigkeit integriert, waren dafür aber
eigenständig miteinander aktiv.
Für die frühen 1050er Jahre sind nur vereinzelt Erfolge der kaiserlich-
päpstlichen Strategie überliefert: Nur wenige der angesprochenen Kleriker tra-
ten zu weiteren Personen in Kontakt. Augenscheinlich vermochte das kurzzei-
tige Aufflammen gefolgt von geringem Engagement Heinrichs, der das Feld
lieber Papst Leo überließ, weder eine intensive noch nachhaltige Reformdis-
kussion zu bewirken (Abb. 73). Erst für die Jahre ab 1055 sind von Bischöfen,
Kardinälen und anderen Klerikern ausgehende Kontakte zu verzeichnen, die
einen netzartigen Charakter in Form eines großen Clusters auszubilden begin-
nen, dessen Dichte bis zum Ende des Untersuchungszeitraums zunimmt (Abb.
74f.). Diese strukturellen Verdichtungsaktivitäten verliefen parallel zur inhalt-
lichen Entwicklung: Von einer anfänglich reaktiven Kritik und Diskussion von
Einzelfällen hin zu auf die Zukunft gerichteten, aktiv normierenden Grund-
satzentscheidungen. Dass binnen weniger Jahre jedoch kein vollständiger
Wandel stattfand, sondern die Entwicklung prozessualen Charakter trägt, be-
legen die kontinuierlich bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes parallel
existierenden, eigenständigen und nicht mehr als 20 Personen umfassenden
Aktionsgemeinschaften, die unabhängig vom Hauptcluster aus jeweils aktuell-
lokalem Anlass miteinander agierten. Grundsätzlich entwickelte sich die Re-
formdiskussion demnach aus vereinzelten, extensiven, lokalen und reaktiven
Kontakten hin zu einer vernetzten, intensiveren, Mitteleuropa erfassenden und
progressiven Diskussionskultur.
 
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