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Lorke, Ariane; Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Kommunikation über Kirchenreform im 11. Jahrhundert (1030-1064): Themen, Personen, Strukturen — Mittelalter-Forschungen, Band 55: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.54853#0300
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IV Resümee

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wenige Kilometer weiter kaum noch von Interesse waren und andererseits
dennoch jahrelange Interventionen des Papsttums nach sich zogen.
Neuerungen aus all diesen Bereichen fanden schließlich Eingang in Rechts-
sammlungen, die sowohl das neuartige Gedankengut kodifizierten als auch eine
gemeinsame Diskussionsgrundlage schufen. Diese schriftliche Normierung
verhalf den behandelten Themen zu mehr Struktur, Transparenz und Rechtssi-
cherheit und damit günstigeren Voraussetzungen für längerfristige Beachtung
und Umsetzung. Dennoch blieben viele Regelungen summarischer Natur und
entbehrten konkreter Sanktionen.
Die anschließende Betrachtung der beteiligten Personen und Gruppen
machte deutlich, dass und auf welche Weise Eremiten, Mönche, Kanoniker, Bi-
schöfe, Päpste, Kardinäle aber auch eine Vielzahl von Laien, darunter Könige
und Kaiser, involviert waren.
Es lassen sich trotz der eingeschränkten Überlieferung noch heute knapp 70
Personen als aktiv handelnde Reformer erkennen: Personen, die durch Äuße-
rungen oder Handlungen aktiv zu einer Verbreitung, Diskussion oder Umset-
zung der neuen Ideen beitrugen. Für 18 weitere Personen, die die Forschung
entweder nicht erwähnte oder gar als Reformer bezeichnete, reicht die hier
festgestellte Quellenlage nicht aus, um sie als solche anzusprechen. Die Netz-
werkanalyse weist insgesamt jedoch weit über 875 Personen in mindestens 2146
Kommunikationsakten nach. Aufgrund der Quellenlage und des Detaillie-
rungsgrades fassen wir damit allerdings nur die Spitze des kommunikativen
Eisberges. Die Beteiligung lag damit weitaus höher als bislang bekannt.
Die Teilhabe umfasste stets sowohl passive Betroffenheit wie auch aktives
Engagement - keine Personengruppe wurde ausschließlich kritisiert oder blieb
von Kritik verschont. Es verweist auf die untrennbare Verbindung zwischen
Gesellschaft und Religion, wenn eine Reform der Kirche Laien als Kritisierte wie
auch Kritiker involvierte: Während ihre traditionelle Einflussnahme auf das re-
ligiöse Leben im Verlauf des 11. Jahrhunderts zunehmende Kritik erfuhr, ja ge-
radezu als Grundursache aller kritisierten Phänomene diskutiert wurde, ge-
stattete eben diese Einflussnahme ein laikales Engagement beispielsweise FÜR
die Durchsetzung von Simonie- und Nikolaitismuskritik, weil auch ein Teil der
Laien in Sorge um ihr Seelenheil von den neuen Idealen ergriffen wurde. Je nach
Einflussmöglichkeiten und Interessen traf diese Ambivalenz auf alle beteiligten
Gruppen zu: Sie verschrieben sich einerseits selbst den neuen Idealen und regten
andere zu deren Verinnerlichung an, wurden aber häufig andererseits selbst
kritisiert und reformiert. Auf diese Weise entstand eine dynamische Wechsel-
wirkung von positiver wie negativer Einflussnahme und ebensolcher Betrof-
fenheit.
Vor allem quellenbedingt überwog generell das aktive und individuelle
Engagement, wohingegen indirekte Unterstützung nur gelegentlich und zufällig
zu konstatieren ist. Deutlich wird dabei, dass nur ein kleiner Teil dieser Personen
lediglich auf die eigene Lebenswelt und deren Besserung schaute, während ein
Großteil über den eigenen Tellerrand hinaus verschiedene Lebensformen aktiv
beeinflusste: Päpste, deren Legaten und Kardinäle zeigten das thematisch um-
fangreichste, Kanoniker hingegen das geringste nachweisbare Engagement.
 
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