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Engl, Richard; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]; Universität Trier [Contr.]; Jan Thorbecke Verlag [Contr.]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0017

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16

Einführung

christlicher Überformung: etwa die berühmten Paläste der Normannenkönige
inmitten moderner Bebauung, kunstvolle Deckenmalereien muslimischer
Handwerker im hohen Halbdunkel der normannischen Palastkapelle und ara-
bische Dokumente als Produkte der christlichen Reichsverwaltung in den Ar-
chiven. Fern der Insel muss man schließlich ein Prunkstück arabisch-norman-
nischer Hofkunst suchen: jenen prachtvollen Mantel, den die Herrscher des
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bis 1792 zur Krönung trugen.
Welcher uneingeweihte Betrachter des Exponates in der Wiener Schatzkammer
hätte geahnt, dass die Kaiser des christlichen Abendlandes in einem Palermitaner
Mantel mit arabischer Inschrift den Thron bestiegen?
So blitzt die einstige Bedeutung der sizilischen Muslime vor allem unverhofft
und gebrochen auf. Erst recht gilt dies für das süditalienische Festland, wohin die
Muslime in der Stauferzeit deportiert wurden. Der dortige Spurensucher wird
das apulische Lucera ansteuem. Doch offenbart der ehemalige muslimische
Hauptort eben kaum mehr Hinweise auf seine nichtchristliche Vergangenheit,
überrascht vielmehr mit typisch süditalienischem Flair: Die etwa 34.000 Ein-
wohner zählende Bischofsstadt auf einem Höhenrücken inmitten der nordapu-
lischen Ebene hat einige römerzeitliche Reste, einen Dom und zwei Stadttore des
14. Jahrhunderts vorzuweisen. Westlich des Ortskerns ragt immerhin einer der
größten Wehrbauten Süditaliens, ein in der Anjouzeit errichteter Festungsmau-
erring, auf. Ansonsten aber vermitteln lediglich einige muslimische Keramiken,
ein gemeißelter Afrikanerkopf und ein arabischer Grabstein im lokalen Museum
eine Ahnung davon, dass man am rechten Ort steht.
Die Tilgung der Erinnerung ist frappierend. Offenbar standen die Vertrei-
bungen der Muslime nicht nur am Anfang einer Entvölkerung, sondern auch
eines folgenschweren Schwunds genuin muslimischer Hinterlassenschaften.
Dass dies mehr noch für Apulien als für Sizilien gilt, dürfte keineswegs nur an
der kürzeren festländischen Präsenz der Muslime liegen, vielmehr am aktiven
Willen christlicher Autoritäten nach 1300: Als Karl II. von Anjou die Muslime aus
Lucera vertreiben ließ, wurde die Stadt christlich umbenannt, kolonisiert und
mit einer Vielzahl von Kirchen und Konventen versehen. Allenfalls der Sieg über
die Muslime, keineswegs aber deren religiöse Kultur sollte in Erinnerung blei-
ben.2 So haben in Lucera kein einziges Bauwerk und keine Infrastruktur der
Muslime, keine Urkunde oder gelehrte Schrift auf Arabisch überdauert, obwohl
diese zweifelsohne existierten.

2 So zum Beispiel explizit für die Umwandlung von Luceras Freitagsmoschee in die Domkirche,
die später sogar unter Verwischung aller Spuren völlig neu errichtet wurde; vgl. CDSL 655,
S. 331-334, vom 10. Januar 1302: Verum quia in ipsa deleta Luceria, post partim cesos partim eiectos
abinde quoslibet Sarracenos, inventa est, que venerabatur ab Ulis sub cultu et nomine Machometti,
Muscheta, templum scilicet ydolatre veneracionis eorum, providimus merito ut, ipsa in quamdam solum
memoriam preteriteforme eins remanente inibi, viduata,..nominis eins, et omnifigure, mutata in caput
Anguli fieret, qui est Ecclesie celebris Christus deus.
 
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