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Engl, Richard; Universität Trier [Contr.]; Jan Thorbecke Verlag [Contr.]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0242

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Zusammenfassung

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Zusammenfassung: Die unterschätzte Bedeutung der
Muslime in der späten Stauferzeit
Was ist zur späten Stauferzeit, der unruhigen Phase nach dem Tod Friedrichs II.,
festzuhalten? Die Muslime Süditaliens gelangten damals in den Zenit ihres po-
litischen Einflusses, um zuletzt jäh herabzustürzen. Wie schon in den Anfangs-
jahrzehnten der sizilischen Stauferzeit war die Königsherrschaft wiederum
umstritten; die geschwächte Zentralgewalt war auf Unterstützer angewiesen,
deren Gefolgschaft natürlich großzügig belohnt werden musste. Hier boten sich
den süditalienischen Muslimen erhebliche Entfaltungsmöglichkeiten. Anders als
gegenüber Tankred von Lecce oder dem heranwachsenden Friedrich II. setzte
ihre Mehrheit diesmal von Anfang an auf zumindest mittelfristig erfolgreiche
Thronanwärter, ja mehr noch: Der umstrittene Kaisersohn Manfred wurde
überhaupt erst durch die Muslime erfolgreich. So waren die Bewohner Luceras
weit mehr als „pawns in the power struggle between the church and the em-
pire"1185: Ihre Stadt beherbergte wohl bereits unter dem älteren Konrad IV. einen
wesentlichen Teil des königlichen Schatzes, und nach dessen Tod retteten die
Muslime den im Herbst 1254 politisch beinahe schon gescheiterten Manfred.
Lucera wurde zum entscheidenden Stützpunkt und zur Rekrutierungsbasis des
Staufers für die zweimalige Vertreibung seiner päpstlichen Gegner aus Südita-
lien. Auf dieser Grundlage konnte Manfred sich einige Jahre später zum Kö-
nigtum über das sizilische Reich aufschwingen. So könnte man pointiert bilan-
zieren: Während der Herrscher traditionell die Muslime geschützt hatte,
schützte ihre Mehrzahl mm den künftigen Herrscher.
Ein solches nicht gerade risikoloses Verhalten wurde der muslimischen
Gemeinschaft mit einer Reihe von Gratifikationen vergolten. Nicht nur, dass sie
weiterhin günstige Bedingungen beispielsweise der Religionsausübung genoss;
Lucera wurde von Manfred auch mit einer dar al- ‘ilm, einem ,Haus der Wis-
senschaft', geehrt. Diese bislang meist Friedrich II. zugeschriebe oder überhaupt
verkannte Institution setzt das Vorhandensein arabischer Literatur in Lucera
voraus, was einen nicht zu unterschätzenden Bildungsstand in der späten
Stauferzeit impliziert. Man wird also eher eine kulturelle Wiederbelebung als
einen Niedergang annehmen dürfen. Aber auch politisch profitierten die Mus-
lime: Sie - beziehungsweise ihre Anführer - konnten ihre Autonomie und Ein-
flussmöglichkeiten ausweiten, wie ja allgemein regionalen Kräften seitens der
späten Staufer mehr Herrschaftsrechte eingeräumt werden mussten.
Signifikantester Repräsentant dieses Prozesses in Lucera war unter Konrad
IV. Johannes Morus, der zu einer Art Stadtherr des muslimischen Zentralortes
aufstieg. Johannes' Schicksal war dementsprechend in diesem Kapitel einge-
hender aufzuarbeiten, wobei gegenüber bisherigen Publikationen insbesondere
seine Grafenerhebung sowie seine Heirat mit der Tochter eines süditalienischen
Barons im Jahr 1254 zu betonen war. Als erfolgreicher Aufsteiger und dunkel-

1185 So aber Maier, Crusade and Rhetoric, S. 346.
 
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