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Engl, Richard; Universität Trier [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0284

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3. Das Ende des muslimischen Lucera unter Karl II. von Anjou

283

noch dominierte der Islam: Der Gebetsruf tönte über die Straßen und Plätze, und
Moscheen, nicht Kirchen, beherrschten das Ortsbild.
Die hier angestellten Überlegungen lassen das städtische Leben Luceras
insgesamt weit deutlicher als bisher hervortreten. Insbesondere die Aufmerk-
samkeit für die Übernahme arabischer Bezeichnungen ins Lateinische wie auch
für die Adaption urbaner Strukturen unterschiedlicher Provenienz vermag
unser Bild Luceras trotz spärlicher Quellenlage zu vertiefen. So können bislang
nur namentlich bekannte Stadttore, Straßen und öffentliche Gebäude konkreter
lokalisiert werden; andere Örtlichkeiten wie das Berberviertel werden überhaupt
erst erkennbar. Die zugrundeliegende Argumentation ist zwar angesichts der
Tilgung der Erinnerung nach 1300 auf manche Indizienbeweise angewiesen,
doch konvergieren die Ergebnisse in ermutigender Weise. Über die Örtlichkeiten
hinaus ist auch eine frappierende Vielfalt der Lebensformen und ethnisch-kul-
turellen Einflüsse der apulischen Stadt zu konstatieren. Lucera erscheint damit
nochmals weniger als bloße ,Garnison', sondern - mit einem jüngeren For-
schungsbegriff bezeichnet - als ausgesprochen hybrider Ort,1433 an dem ver-
schiedene Provenienzen und Einflüsse zu einem dekadenlang ineinandergrei-
fenden Ganzen kombiniert waren. Nicht nur das normannische Sizilien,1434 auch
das staufische Lucera könnte man demnach als „third space" bezeichnen, als
Übergangsraum und Ort der Vermischung unterschiedlicher Einflüsse.

3. Das Ende des muslimischen Lucera unter Karl II. von Anjou
Es bleibt eine letzte entscheidende Frage zur Geschichte der Muslime im stau-
fisch-angiovinischen Süditalien zu klären: Wie konnte es im Jahr 1300 zum
plötzlichen Ende islamischen Gemeinschaftslebens in Lucera kommen?1435 Alle
bisherigen Ausführungen zeigten schließlich, wie fest verankert die muslimische
Präsenz im Königreich Sizilien auch noch des 13. Jahrhunderts war, wie selbst-
verständlich die Muslime inmitten der süditalienischen Christen Fuß gefasst
hatten und wie bereitwillig christliche Akteure weiterhin mit Muslimen ko-
operierten. Eine überraschende Kopräsenz ethnischer und religiöser Gruppen
war dekadenlang Selbstverständlichkeit gewesen. Im Jahr 1300 aber ging all dies
bestürzend schnell und gewaltsam zu Ende: Karl II. von Anjou, der Sohn des
angiovinischen Eroberers Karl L, ließ im August jenes Jahres Lucera besetzen, die
Muslime aus der Stadt vertreiben und sie bald darauf unter Konfiskation ihres
gesamten Besitzes in die Sklaverei verkaufen.1436 Nur wenige Vertreter der mus-

1433 Dazu programmatisch Schiel u. a., Hybride Kulturen im mittelalterlichen Europa, mit weiterer
Literatur.
1434 Dazu Houben, Between Occidental and Oriental Cultures.
1435 Diesem Kapitel analoge Überlegungen habe ich in Engl, Das Ende muslimischen Lebens, erst-
mals zur Diskussion gestellt.
1436 Vgl. die Literatur in den beiden folgenden Anm. 1437 f. mit Quellenverweisen.
 
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