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Engl, Richard; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Universität Trier [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0032

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1. Leben in Stadt, Land und Hof unter königlicher Schutzherrschaft

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renommierten englischen Experten Jeremy Johns und Alex Metcalfe.57 Lediglich
die für die Stauferzeit zentrale Frage, inwieweit bereits ein krisenhafter Verfall
muslimischen Lebens eingetreten war, ist neu aufzurollen: ein Urteil zu dieser
kontrovers diskutierten Problematik erscheint nur in eigenständiger Quellen-
betrachtung möglich. Damit soll also in einem zweiten Teilkapitel die eigentliche
Untersuchung beginnen.
1. Leben in Stadt, Land und Hof unter königlicher
Schutzherrschaft
Zunächst also zur Ausgangslage, dem muslimischen Leben im normannischen
Sizilien am Vorabend der Stauferzeit. Demographisch stellten die Muslime wohl
noch in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Mehrheit der sizilischen
Bevölkerung.58 Besonders hoch war ihr Anteil im Westen der Insel, dem soge-
nannten Val di Mazara, sowie augenscheinlich in Teilen des Südostens, dem Val
di Noto. Das nordöstliche, Val Demone genannte Inseldrittel war hingegen
stärker christlich geprägt (Abb. 3).59 Diese Verteilung ging letztlich bis auf die
Zeit der muslimischen Eroberung zurück, deren Akteure im 9. Jahrhundert
schrittweise vom gegenüberliegenden Nordafrika aus im Südwesten Siziliens
Fuß gefasst hatten.60 Die vormaligen Herren der Insel, die Byzantiner, hatten
noch lange im festlandsnahen Osten auszuhalten vermocht, so dass insbeson-
dere in den bergigen Rückzugsräumen des Val Demone griechische Christen
und kirchliche Infrastrukturen bis in die Normannenzeit überdauert hatten.
Ansonsten aber war die Islamisierung und besonders die Arabisierung in der
muslimischen Epoche weit vorangeschritten gewesen. So hatte sich das Substrat
der muslimischen Bevölkerung formiert: Araber und Berber aus Nordafrika,
Andalusier, subsaharische Afrikaner und Sklaven vom Balkan beziehungsweise
aus Zentraleuropa sowie assimilierte griechische Christen. Die dünne norman-
nische Er oberer schicht, die im 11. Jahrhundert ins Land gekommen war, hatte
die vorgefundene Situation nicht grundsätzlich revidieren wollen oder können -
nur eine schleichende Verschiebung der Gewichte hatte eingesetzt: Vor allem aus
den Städten waren wichtige Vertreter der politischen, ökonomischen und intel-
lektuellen Elite der Muslime emigriert, dafür waren lateinische und auch grie-

57 Allen Kennern der muslimischen Lebensbedingungen in der Normannenzeit sei dementspre-
chend die Fortsetzung der Lektüre im Kapitel 1.2. empfohlen.
58 Vgl. Metcalfe, The Muslims of Medieval Italy, S. 142; Loud, Communities, Cultures and Conflict,
S. 144.
59 Vgl. Von Falkenhausen, II popolamento, S. 50; Metcalfe, The Muslims of Sicily, S. 292f.; Schlichte,
Der „gute" König, S. 203; De Simone, I luoghi della cultura, S. 65-68; für eine lokal differenzierte
Zusammenstellung der muslimischen Präsenz in Sizilien weiterhin Peri, Cittä e campagna in
Sicilia, Bd. 2, S. 180-185.
60 Vgl. zum Folgenden Metcalfe, The Muslims of Medieval Italy, S. 12-15, 27, 35; Metcalfe, The
Muslims of Sicily, S. 289-291.
 
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