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Engl, Richard; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]; Universität Trier [Contr.]; Jan Thorbecke Verlag [Contr.]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0161

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160

III. Staufische Neuordnungen (1225-1250)

der Region ohnehin die wirksamere Voraussetzung.731 Die Bekehrungen fanden
offensichtlich zwangsfrei statt, sofern man wirtschaftlich-soziale Motive nicht als
verkappte Zwänge ansieht. Die Zahl der Konvertierten dürfte allerdings unter
dem von Friedrich II. kolportierten Bevölkerungsdrittel gelegen haben,
schließlich dominierte in Lucera weiterhin definitiv und unangefochten die is-
lamisch geprägte Kultur.732
Insgesamt belegen die stauferzeitlichen Konversionen nochmals die direkten
Kontakte beider Religionsgemeinschaften und einen vergleichsweise gelassenen
Umgang mit religiöser Differenz, der in der Rückschau allzu leicht vom propa-
gandistischen Ringen zwischen Kaiser und Papst verdeckt wird. Zum religiösen
Leben in Lucera und Umgebung bleibt alles in allem festzuhalten, welch große
Freiheit die Muslime trotz ihrer Einbindung in ein christliches Umfeld besaßen:
Sie konnten das Freitagsgebet und den Gebetsruf wieder in unmittelbarer
Nachbarschaft zu christlichen Stadtbewohnern vollziehen. Es gab eine Frei-
tagsmoschee und sicher auch kleinere islamische Gotteshäuser sowie eine eigene
Gerichtsbarkeit unter der Ägide von Kadis.
4. Gesellschaftsstruktur und Hofleben unter Friedrich II.
als imperialem Herrscher
Vom Kadi als städtischer Autoritätsperson ausgehend eröffnen sich auch erste
Einsichten in die Sozialstruktur des muslimischen Lucera unter Friedrich II.: Wie
zu Beginn des 13. Jahrhunderts auf Sizilien733 nahm nun wieder ein islamisch-
sakralrechtlich legitimierter Notabel eine herausgehobene Position bei den
Muslimen ein. Diese war offenbar nicht nur juridischer, sondern auch gesell-
schaftlicher Natur; immerhin wurde Luceras Kadi anlässlich der Besteuerung

731 Bei allem Streit um die jeweiligen Bekehrungszahlen waren sich Papst und Kaiser darin einig, die
räumliche Nähe von apulischen Christen und Muslimen als wesentliche Voraussetzung für
Konversionen anzusehen; vgl. oben Anm. 720-722.
732 Ähnlich Abulafia, Monarchs and Minorities, S. 236 f.; Taylor, Muslims in Medieval Italy, S. 51;
anders wäre auch der in der Vita Gregors IX. vorgebrachte Vorwurf, Luceras Bischof seien nur
zwölf christicolae verblieben, zu absurd gewesen; vgl. Vita Gregorii IX., ed. Fabre / Duchesne,
cap. 32, S. 31; zudem wurde Lucera noch später als „mit Sarazenen vollgestopfte Stadt" oder
einfach als „Stadt der Sarazenen" charakterisiert; vgl. Matthäus von Paris, Chronica majora, ed.
Luard, Bd. 5, S. 473 f.; Annales lanuenses, ann. MCCLI-MCCLXIV, ed. Imperiale di Sant' Angelo,
Bd. 4, S 13-16; Bartholomäus von Neocastro, Historia sicula, ed. Paladino, cap. 2, S. 3; ähnlich
Matthäus von Paris, Abbreviatio Chronicorum Angliae, ed. Madden, Bd. 3, S. 320f.; Ibn Wäsil,
Mufarrig al-kurüb fi ahbär bani Ayyüb, ed. RabI‘, Bd. 4, S. 248; vgl. auch den islamischen Eid des
„gesamten Stadtvolkes" in ,Nicolaus de Jamsilla', Historia de rebus gestis Friderici II., ed.
Muratori, Sp. 532, übers, in Storia di Niccolö Jamsilla, ed. del Re, S. 145; die Belege ließen sich
vermehren.
733 Dazu oben bei Anm. 361.
 
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