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Engl, Richard; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]; Universität Trier [Contr.]; Jan Thorbecke Verlag [Contr.]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0049

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I. Normannische Ausgangslage (bis 1189)

und Beckenschlägern verschaffte dem Herrscher die gebührende Aufmerk-
samkeit und konnte die Bevölkerung militärisch mobilisieren.164
Insgesamt erfüllten also (krypto-)muslimische Höflinge zahlreiche wichtige
Funktionen für die christlichen Könige. Nicht-Konvertierte nahmen dabei etwas
niedrigere Positionen ein, sofern sie dem königlichen Haushalt angehörten;
muslimische Stadteliten von außerhalb des Palastes konnten demgegenüber
schon erheblicheren Einfluss entfalten, und vollends prägten die offiziell kon-
vertierten Eunuchen den Charakter der Normannenherrschaft: Sie hatten an der
Regierung, an Kriegführung, Justiz und Verwaltung Anteil. All diese offen oder
verdeckt muslimischen Höflinge verhalfen den christlichen Königen letztlich zu
effektiverer Herrschaftsdurchsetzung.
2. Eine Krise muslimischen Lebens am Vorabend
der Stauferzeit?
Jene vielfältigen städtischen, ländlichen und höfischen Lebensformen der Mus-
lime Siziliens traf wenige Jahre vor dem Ende der Normannenära ein berühmter
Reisender an: Abü 1-Husayn Muhammad ibn Ahmad ibn Gubayr al-Kinäm, kurz
Ibn Gubayr genannt, Sekretär des muslimischen Gouverneurs von Granada.165
Fast genau zehn Jahre vor Kaiser Heinrich VI. landete er in Messina, als er auf der
Rückkehr von der Pilgerfahrt nach Mekka mit knapper Not einem Schiffbruch
entging. Während er den Norden der Insel durchquerte, um sich von Trapani aus
wieder einzuschiffen, schrieb er an einem Reisebericht (Rihla). Diese Aufzeich-
nung gilt dank ihrer Beobachtungskunst, Lebhaftigkeit und Sprachgewandtheit
als literarisches Meisterwerk.166 Vor allem aber ist sie das entscheidende Zeugnis
zum Leben der sizilischen Muslime am Vorabend der Stauferzeit: Da ansonsten
keine derart eingehenden einschlägigen Überlieferungen existieren, bestimmt
die Interpretation der Rihla gewissermaßen den Grundton jeder Darstellung
interreligiösen Zusammenlebens in der späten Normannenzeit.
Doch ausgerechnet dieses wertvolle Zeugnis äußert sich zur Lage der sizi-
lischen Muslime überaus rätselhaft: Es beschreibt die Minderheit einmal als
vergleichsweise respektiert und abgesichert, dann wieder als zutiefst unter-
drückt und gefährdet. So befeuerte der Bericht kontroverse Sichtweisen, ob das
muslimische Leben am Ende der Normannenzeit bereits in einer tiefverwur-

164 Vgl. ,Hugo Falcandus', De rebus circa regni Siciliae curiam gestis, ed. D'Angelo, 55.22-23,
S. 312 f., übers, auch in The History of the Tyrants of Sicily, transl. Loud/ Wiedemann, S. 211; Petrus
von Eboli, Liber ad honorem Augusti, ed. Kölzer / Stähli, fol. 102r, S. 63, fol. 134r, S. 191; dazu
schon oben bei Anm. 51.
165 Zu ihm einführend Pellat, Ibn Djubayr; Netton, Islamic and Middle Eastem Geographers, Bd. 2;
etwas einseitig Dejugnat, Ibn Jubayr; jeweils mit Literaturverweisen.
166 Vgl. Dejugnat, Ibn Jubayr: „the masterpiece ... of a new literary genre"; ähnlich Pellat, Ibn
Djubayr; Netton, Rihla; zum Quellenwert bezüglich Siziliens auch Metcalfe, Muslims and
Christians, S. 39-41.
 
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