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Engl, Richard; Universität Trier [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0018

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2. Die verdrängte Kultur - Geschichtsforschung und Bewusstsein

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2. Die verdrängte Kultur - Geschichtsforschung und
europäisches Bewusstsein
Die Folgen wirken bis heute fort: In der Rückschau nachfolgender Jahrhunderte
erschienen die Lebensformen der süditalienischen Muslime allenfalls als
schwacher Abglanz einstiger Bedeutung. Gegenüber der muslimischen Präsenz
auf Sizilien wurde das Dasein auf Italiens Festland weithin als Randphänomen
angesehen; und schon Siziliens Muslime genossen keine so lebhafte Aufmerk-
samkeit in Wissenschaft und Öffentlichkeit wie ihre Glaubensgenossen in ver-
gleichbaren interreligiösen Kontaktzonen.3 Dabei war Süditalien neben der
Iberischen Halbinsel und dem levantinischen Gebiet der Kreuzzüge und
Kreuzfahrerherrschaften jahrhundertelang einer der drei entscheidendsten Be-
gegnungsräume der beiden reichsbildenden monotheistischen Religionen des
Mittelalters, Christentum und Islam, gewesen. So scheint die Verdrängung der
muslimischen Erinnerung Süditaliens Wirkung entfaltet zu haben. Erst in den
letzten Jahren wurde der Anteil der Muslime an der vielberufenen kulturellen
Vielfalt der Normannenzeit intensiver diskutiert.4 Ganz anders aber sieht es noch
für die staufisch-angiovinische Ara aus: Als Periode vermeintlich zielgerichteten
Verfalls muslimischer Entfaltungsmöglichkeiten erfuhr sie eklatant weniger
Aufmerksamkeit, geriet bezeichnenderweise besonders von ihrem fatalen Ende
her in den Blick.5 Zwei wissenschaftsinteme Phänomene verschärften diesen

3 VgL stellvertretend für ganze Bibliographien nur die entsprechende Gewichtung noch in
neueren Überblickswerken: Catlos, Muslims of Medieval Latin Christendom, räumt den süd-
italienischen Muslimen der Staufer- und Anjouzeit nur sieben Seiten gegenüber 192 Seiten zu
den Muslimen im christlichen Spanien und Heiligen Land ein, Borgolte, Christen, Juden, Mu-
selmanen, nur eine Seite; Tottoli, Routledge Handbook of Islam, und Fierro, The New Cam-
bridge History, behandeln neben der Iberischen Halbinsel nur Sizilien bis zum Ende des
12. Jahrhunderts; ausführlicher immerhin Tolan u. a., Europe and the Islamic World; unüber-
sehbar folgte das Interesse an der Geschichte der Muslime auf europäischem Boden weithin der
Überlieferungslage: Im Mittelpunkt stand die Iberische Halbinsel, deren nichtchristliches Erbe
sogar eine heftig umstrittene Rolle für die nationale Selbstvergewisserung Spaniens spielte; dazu
pointiert Jaspert, Religiöse Minderheiten, S. 16-21, 44, mit Literaturverweisen; zu den Muslimen
Siziliens erschienen so bis in die 1990er Jahre monographisch nur Amari, Storia dei musulmani di
Sicilia; Schack, Die Araber im Reich; Ahmad, A History of Islamic Sicily; Maurici, L'emirato sulle
montagne.
4 VgL monographisch ab 1990 De Simone, Splendori e misteri di Sicilia; Johns, Arabic Adminis-
tration in Norman Sicily; Metcalfe, Muslims and Christians; Maurici, Breve storia degli Arabi;
Becker, Graf Roger I. von Sizilien, ad indicem; Metcalfe, The Muslims of Medieval Italy; Houben,
Roger II. von Sizilien, ad indicem; Nef, Conquerir et gouvemer la Sicile; Vanoli, La Sicilia mu-
sulmana; Dolezalek, Arabic Script on Christian Kings; für ein breiteres Publikum Salierno, I
Musulmani in Italia; Feniello, Sotto il segno del leone; analog erfuhren auch die Muslime Süd-
italiens im Frühmittelalter zuletzt mehr Aufmerksamkeit; vgl. etwa Wolf, Auf dem Pfade Allahs;
demnächst Wolf / Herbers, Southern Italy as Contact Area.
5 Dazu insbes. Egidi, La colonia saracena di Lucera; Bevere, Ancora sulla causa della distruzione;
Saletta, La distruzione della colonia saracena; Gabrieli, La colonia Saracena di Lucera; Abulafia,
Monarchs and Minorities; Abulafia, La caduta di Lucera Saracenorum; Scheller, Assimilation
und Untergang.
 
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