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Engl, Richard; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Universität Trier [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0077

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II. Staufische Anfänge (1189-1225)

men:283 Wenige Jahre zuvor waren noch Welten zwischen muslimischer Land-
bevölkerung und Städtern gelegen, nun aber machte deren neue Geschlossenheit
ihre Positionierung zu einem wichtigen Faktor im Kampf um den sizilischen
Thron. Auch wenn die rasche Herrschaftskonsolidierung und Zugeständnisse
Tankreds den Widerstand der Muslime bald obsolet machten, ja seiner Familie
deren Loyalität sicherten, blieb eine neue Gruppendynamik, ein Muster, das im
Falle künftiger Thronunruhen reaktiviert werden sollte.
2. Überraschende Konvivenz unter Kaiser Heinrich VI.
und Kaiserin Konstanze
Dies war also die Ausgangslage, mit der Heinrich VI. bei seinem feierlichen
Einzug in Palermo am 20. November 1194 konfrontiert war; und obwohl er ein
landfremder Deutscher war, bedeutete auch sein Regierungsantritt für die mus-
limische Bevölkerung Siziliens keine massive Veränderung. Zwar brachte der
Kaiser zahlreiches mit der Insel unvertrautes Gefolge mit und kam vorerst ohne
seine einheimische Gattin, doch legte er gegenüber den Muslimen in Stadt und
Land nicht den befürchteten furor teutonicus an den Tag.284 Nur die königliche
Menagerie außerhalb Palermos verspeisten die heranrückenden staufischen
Truppen, doch wohl weniger aus Missachtung arabisch-normannischer Palast-
kultur denn aus taktischem Kalkül: tatsächlich übergaben die entsetzten Paler-
mitaner daraufhin unmittelbar ihre Stadt.285 Die Nichtchristen der Insel aber,
Muslime wie Juden, beließ Heinrich in ihrem vorigen Status und an ihren an-
gestammten Orten, als diese ihn aufsuchten und vermutlich eine Abgabe ent-
richteten;286 es dürfte dies die sogenannte gizya gewesen sein, die Kopfsteuer, die
die Andersgläubigen seit Generationen zugunsten ihres Schutzes als geduldete
Religionsgruppe geleistet hatten.287 Der Staufer führte also die Politik seines
verachteten Vorgängers Tankred gegenüber der breiten muslimischen Bevölke-
rung fort, offensichtlich wiederum zugunsten eigener Autoritätssicherung über
Sizilien. Diesem Ziel dürfte auch seine einzige doch gegen Personen arabisch-
muslimischer Prägung gerichtete Maßnahme verpflichtet gewesen sein: Die
dreisprachige Palastverwaltung ersetzte der Stauferkaiser durch eine rein latei-

283 Vgl. Maurici, Breve storia degli Arabi, S. 143; Metcalfe, The Muslims of Medieval Italy, S. 276.
284 Anders noch Giunta / Rizzitano, Terra senza crociati, S. 87-95; zum/wror Broekmann, Rigor iu-
stitiae, S. 244-248, mit weiterer Literatur.
285 Vgl. Otto von St. Blasien, Chronica, ed. Hofmeister, cap. 40, S. 61 f.; dazu Hauck, Tiergärten im
Pfalzbereich, S. 61.
286 Vgl. Roger von Howden, Chronica, ed. Stubbs, Bd. 3, S. 269f.: Venerunt etiam ad praedictum
Romanorum imperatorem omnes pagani et Judaei qui erant in regno Siciliae, et satisfacientes Uli re-
manserunt in regno, unusquisque in locum suum, sub ea conditione qua antefuerat; satisfacere scheint
hier eine Zahlung und keine Genugtuungsleistung zu meinen, die zumindest für die Juden
unbegründet gewesen wäre; zu deren friedlicher Existenz im Königreich Sizilien des 12. Jahr-
hunderts etwa Houben, Gli ebrei nelfltalia meridionale, insbes. S. 22-26.
287 Dazu oben in Kapitel 1.1 bei Anm. 75 f.
 
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