Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Engl, Richard; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]; Universität Trier [Contr.]; Jan Thorbecke Verlag [Contr.]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0030

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
I. Normannische Ausgangslage: Die Muslime
Siziliens und die Palastherrschaft (bis 1189)
Am 20. November 1194 zog in Palermo, der Königsstadt des sizilischen Reiches,
der Stauferkaiser Heinrich VI. ein (Abb. 2). Fremdartiger Pomp empfing ihn:
„Weihrauch, Myrrhen und andere duftende Spezereien verbreiteten auf den
Straßen ... ihre Wohlgerüche; ... und das Volk ... fiel gemäß der Sitte jenes
Landes beim Anblick des erhabenen Kaisers mit zu Boden geneigtem Antlitz vor
ihm nieder"50. Muslimische Trompeter schritten dem Staufer voran51 und Eu-
nuchen übergaben ihm im Königspalast arabische Verwaltungsbücher und den
geradezu sagenhaften Reichsschatz.52
Es war ein mediterraner Kulturraum ganz eigenen Charakters, der den
ersten Staufer auf sizilischem Boden empfing. Der Weihrauchduft, die demütige
Niederwerfung der Untertanen - die sogenannte Proskynese - sowie die Betei-
ligung andersgläubiger Musiker und kastrierter Palastbediensteter, all das ver-
riet byzantinisch-muslimische Wurzeln.53 Heinrich VI. muss dies überaus stau-
nenswert erschienen sein.54 Als im Norden sozialisierter Nachfolger der römisch-
deutschen Herrscher, die lange vergeblich die Hand nach dem sizilischen Kö-

50 Otto von St. Blasien, Chronica, ed. Hofmeister, cap. 40, S. 62f.: ... thure, myrra aliisque speciebus
odoriferis intus et extra civitatem redolentibus plateis ... vulgoque, quod plateas circumstabat, viso
augusto iuxta morem illius terre prono vultu in terra coram eo corruente ...; die Übersetzung modi-
fiziert nach: Die Chronik Ottos von St. Blasien, hg. und übers. Schmale, S. 119; die Skepsis von
Ertl, Otto von St. Blasien, gegenüber der Authentizität des Berichts wird hier nicht geteilt: Zwar
gruppiert Otto tatsächlich Ereignisse dramatisierend um, doch ist deren Wiedergabe üblicher-
weise verlässlich; auch beweist die narrative Struktur des Adventusberichts noch keinen dich-
terischen Charakter, sie liegt vielmehr in der Natur des Zeremoniells selbst; zudem ist die
Gepflogenheit der Proskynese vor dem vorbeireitenden Herrscher im sizilischen Königreich
bestätigt; vgl. Ibn Gubayr, Rihla, ed. Wright / bearb. de Goeje, S. 338, übers, in The Travels of Ibn
Jubayr, transl. Broadhurst, S. 355, und unten in Anm. 53.
51 Vgl. Petrus von Eboli, Liber ad honorem Augusti, ed. Kölzer / Stähli, foL 134r, S. 191; dank ,Hugo
Falcandus', De rebus circa regni Siciliae curiam gestis, ed. D'Angelo, 32.21, S. 210 f., übers, auch
in The History of the Tyrants of Sicily, transl. Loud / Wiedemann, S. 146 f., wissen wir, dass es im
Königreich Sizilien allgemein üblich war, Herrschaften qua Prozession mit voranschreitenden
Trompetern, Trommlern und Beckenschlägern anzutreten; dementsprechend ist auch der
Herrschaftsantritt von Heinrichs VI. Konkurrenten Tankred von Lecce in Petrus von Eboli, Liber
ad honorem Augusti, ed. Kölzer / Stähli, fol. 102r, S. 63 - obgleich karikiert - mit entsprechenden
muslimischen Musikern dargestellt.
52 Vgl. Petrus von Eboli, Liber ad honorem Augusti, ed. Kölzer / Stähli, S. 197, vv. 1317-1326; zur
Übernahme des Schatzes auch Otto von St. Blasien, Chronica, ed. Hofmeister, cap. 40, S. 63.
53 Zu Weihrauch und Proskynese im byzantinischen Zeremoniell vgl. Treitinger, Die oströmische
Kaiser- und Reichsidee , S. 68, 84-90; auf Sizilien Deer, Der Kaiseromat Friedrichs II., S. 14 mit
Anm. 20, sowie Baaken, Das sizilische Königtum, S. 214 f.; zu den muslimischen Musikern und
kryptomuslimischen Palasteunuchen vgl. unten bei Anm. 164 und 137-150.
54 Vgl. nur Petrus von Eboli, Liber ad honorem Augusti, ed. Kölzer / Stähli, S. 197, vv. 1325 f.:
Miratur gazas, quas antiquissimus ardor / Sortis in incerte gründe redegit honus; oder schon S. 189,
vv. 1231 f.: Fabariam veniens, socerum miratus et illam, / Delectans animos nobile laudat opus.
 
Annotationen