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Engl, Richard; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Universität Trier [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0063

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I. Normannische Ausgangslage (bis 1189)

Zusammenfassung: Fragile Gleichgewichte statt
genereller Marginalisierung
Insgesamt kann also festgehalten werden, dass die Geschichte einer krisenhaft
zunehmenden allgemeinen Marginalisierung der muslimischen Bevölkerung
am Vorabend der Stauferzeit eine Überbewertung darstellen dürfte. Zwar hatte
es drei Jahrzehnte vor Heinrichs VI. Herrschaftsantritt Ausschreitungen in Pa-
lermo und Südostsizilien gegeben, deren Folgen lokal spürbar blieben: Viele
Muslime mieden die entsprechenden Orte, in Palermo war der Schutzpakt mit
dem König eingeschränkt, und unter muslimischen Eliten sowie in Südostsizi-
lien gab es Besorgnisse beziehungsweise Aversionen gegenüber den christlichen
Tätern. Ebenso hielten sich in gewissen christlichen Kreisen insbesondere mit
lateinischem Migrationshintergrund unterschwellige Aversionen gegen Musli-
me. Aber eine generelle Verschlechterung muslimischer Lebensbedingungen,
„Unzufriedenheit in Stadt und Land und auf allen sozialen und politischen Le-
veln muslimischer Gemeinschaften, die zu einer unsicheren Unterklasse herab-
gewürdigt waren",* * 238 herrschte wohl gerade in den 1170er und 1180er Jahren
noch nicht. Das Gros der christlichen Bevölkerung begegnete den Andersgläu-
bigen augenscheinlich noch mit duldsamem Respekt, es gab keinen generali-
sierten Konversionsdruck und die Muslime lebten abgesehen von Teilen Paler-
mos in weitgehender Sicherheit, auch in befestigten Städten Südostsiziliens und
auf Monreales Gütern. Ihr Lebensumfeld war eben nicht auf eine Art Reservat in
Westsizilien beschränkt, und die Gründung Monreales muss keineswegs „de-
saströs" für das Gleichgewicht des Königreichs gewesen sein.239 Vor allem aber
wirkten die Normannenherrscher entgegen anderslautenden Forschungsmei-
nungen240 nach wie vor als Schützer und nicht Unterdrücker der Muslime. Be-
zeichnenderweise waren ja auch die Übergriffe des Jahres 1161 von Königs-
gegnern in einer Schwächephase der Zentralgewalt nach Jahren der Ausweitung
arabisch-muslimischen Einflusses bei Hof verübt worden, und der Sturz ein-

in der Nachbarschaft der,Lombardenstädte', wo die Übergriffe laut ,Hugo Falcandus', De rebus
circa regni Siciliae curiam gestis, ed. D'Angelo, 25.5-6, S. 164 f., stattgefunden hatten.
238 So aber Metcalfe, The Muslims of Medieval Italy, S. 272: „Indeed by the 1180 s, it is possible to
identify long- and short-term disaffection in both city and countryside, and at all social and
political levels within Muslims communities that had been wom down to an insecure underclass
..."; vgL auch S. 224: „... the long-term effects of Latinisation of both state and society ..., by
which the Muslims at all levels had become marginalised and vulnerable".
239 So aber Metcalfe, The Muslims of Medieval Italy, S. 210; vgl. auch White, Latin Monasticism in
Norman Sicily, S. 144; vorsichtiger Loud, The Latin Church, S. 338 f.
240 So etwa Norwich, Die Normannen in Sizilien, S. 324, der einen „Verrat durch die Nachfolger" an
den „Idealen der beiden Roger" konstatierte; ähnlich Maurici, L'emirato sulle montagne, S. 32f.,
sowie Maurici, Uno stato musulmano, S. 263 f., der die Gründung Monreales als Wilhelms II.
Versuch einer „soluzione definitiva del problema musulmano" durch endgültige Mission und
Akkulturation sah; Feniello, Sotto il segno del leone, S. 234 f., sprach gar von „ima politica di
annientamento"; auch laut Abulafia, The Last Muslims in Italy, S. 272, „The Muslim communities
of Sicily were under increasing pressure from the Crown".
 
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