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Engl, Richard; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Universität Trier [Mitarb.]; Jan Thorbecke Verlag [Mitarb.]
Die verdrängte Kultur: Muslime im Süditalien der Staufer und Anjou (12.-13. Jahrhundert) — Mittelalter-Forschungen, Band 59: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.61500#0243

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IV. Spätstaufische Nachfolgekonflikte (1250-1266)

häutiger Konvertit war der ,Mohr' leicht zu diskriminieren, etwa durch Mord-
vorwürfe seitens der Päpstlichen, deren offensichtliche Substanzlosigkeit erör-
tert wurde.
Das Schicksal des zuletzt von seinem eigenen Gefolge getöteten ,Mohren'
verweist noch auf einen weiteren, in den stauferzeitlichen Quellen immer wieder
nur schlaglichtartig fassbaren Punkt: Wie die Christen bildeten natürlich auch
die Muslime keineswegs eine geschlossene, einige Gruppe; vielmehr traten 1254
erneut unterschiedliche Fraktionen in Erscheinung, die gegenüber der christli-
chen Herrschaft divergierende Positionen verfochten. So fiel insbesondere die
muslimische Parteinahme zugunsten Manfreds zunächst alles andere als ein-
mütig aus. Andererseits existierten in der späten Stauferzeit wiederum enge
Kooperationen über die Religionsgrenzen hinweg: Aufeinander eingespielte
christliche und muslimische Heereskontingente vertrauten einander außeror-
dentlich, wenn die Zusammenarbeit mit fremderen Truppenteilen auch kon-
fliktreich sein konnte. Im zivilen Bereich schenkten Bewohner anderer südita-
lienischer Städte den Muslimen Luceras offensichtlich ebenfalls Vertrauen. Dass
dabei die muslimische Verinnerlichung gewisser Wertvorstellungen und Rituale
im christlichen Reich das gegenseitige Verständnis förderte, ist anzunehmen.
So gingen politische Kooperationen und Konflikte ersichtlich auf allen Seiten
nur sekundär auf religiöse Zugehörigkeit zurück; die Parteiungen formierten
sich über die Religionsgrenzen hinweg. In dieses - gerade für die späte Stau-
ferzeit nochmals deutlichere - Gesamtbild fügen sich auch und sogar jene
Kreuzzüge, die das Papsttum ab 1255 gegen Süditaliens Muslime proklamierte.
Die im Grunde gegen Manfred gerichteten Initiativen rechtfertigten sich aus der
exponierten politischen Rolle, die die süditalienischen Muslime eingenommen
hatten: Sie hatten sich massiv gegen eine direkte päpstliche Herrschaft über
Süditalien gewandt und als entscheidender staufischer Rückhalt profiliert - wohl
wissend, dass sie damit auch erbitterte Feindschaft auf sich zogen. Diese schlug
ihnen nun in den ersten gegen Muslime im christlichen Königreich gerichteten
Kreuzzügen entgegen. 1255 beziehungsweise 1264 bis 1265 ließen die Päpste in
weiten Teilen der heutigen Beneluxstaaten, Großbritanniens, Frankreichs und
Italiens entsprechende Predigten gegen Luceras Muslime wie gegen Manfred
halten. Die politische Natur dieser Initiativen wurde schon von vielen Zeitge-
nossen wahrgenommen.
Als die päpstlichen Bestrebungen der 1260er Jahre allerdings unerwarteten
Erfolg hatten, bekam die muslimische Gemeinschaft die Kehrseite ihrer im Er-
folgsfall so gewinnbringenden Teilnahme am italienischen Mächtespiel zu spü-
ren. Dem ins Land gerufenen Bruder des französischen Königs, Graf Karl von
Anjou und Provence, gelang 1266 der Einmarsch ins ressourcenmäßig weit
überlegene sizilische Reich und die Vernichtung Manfreds. Dieser Umsturz der
politischen Verhältnisse beendete das Zwischenhoch muslimischer Entfal-
tungsmöglichkeiten in Süditalien; aber auch daran hatten die Betroffenen selbst
gewissen Anteil, wie eine Analyse der Gefechte von San Germano und Benevent
nahelegt.
Alles in allem können die Ergebnisse zur späten Stauferzeit somit ein
wichtiges Korrektiv darstellen: Schließlich vernachlässigte die bisherige For-
 
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