Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 11.1912

DOI issue:
Nr. 3
DOI article:
Behrendt, Walter Curt: Julius Habicht
DOI article:
Coulin, Jules: Die Architekten Theiler & Helber in Luzern
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.48361#0164

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DIE ARCHITEKTEN THEILER & HELBER IN LUZERN
von Dr. JULES COULIN, Basel

Die beiden Architekten Theiler und Helber in Luzern haben
sich durch ihre gemeinsam ausgeführten Bauten in recht
kurzer Zeit einen ansehnlichen Platz unter der jungen künst-
lerisch arbeitenden Architektenschaft der Schweiz erobert.
Wie sonst bei einer Reihe erfolgreicher Baukünstler hat sich
auch bei diesen, ganz aus derPraxis herausgewachsenen, Persön-
lichkeiten die Verbindung eines konstruktiv und rechnerisch
scharf denkenden Kopfes — des Schweizers Theiler — mit
einem künstlerisch originellen Temperament — dem Süd-
deutschen Helber, als schöpferisch und ungemein fruchtbar
erwiesen. Durch gemeinsame Arbeit fühlte sich der Landes-
fremde überraschend bald in die Bautradition der Schweiz
ein, doch unter Wahrung der Distanz, die ihm die Freiheit
des künstlerischen Schaffens auch weiter gewährte. Und
nichts erscheint uns wünschenswerter für ein Fortschreiten
der jungen schweizerischen Baukunst, als wenn ihr aus dem
verwandten und in seiner Bedeutung eher noch verkannten
süddeutschen Kulturkreis Anregung und Bereicherung erwächst.
Weder aus Italien noch aus Frankreich, deren geschmacks-
bildenden Einfluss man in der Schweiz gerne überschätzt,
hat die Architektur unserer Tage Befreiendes zu erwarten;
die rein romanische Kultur mag bei uns bewundert werden,
etwas Fremdes und nie restlos Aufnehmbares bleibt sie dem
Deutschschweizer doch; bei ehrlicher Selbsterkenntnis wird
er sich, natürlich unbeschadet seiner vollgültigen Eigenart,
nach Siiddeutschland orientieren. Hier wo gleiche Bedürf-
nisse nach künstlerischer Innenkultur lebendig sind und wo
auf wohl vorbereitetem Boden die Formensprache sich ent-
wickelte, die diesen Bedürfnissen Ausdruck verlieh, findet
sich der Anschluss für eine entwicklungsfähige schweizerische
Architektur, die ebensowenig wie die Kunst und Literatur
des Landes sich damit brüsten kann, etwas ganz Autoch-
thones zu sein. Was an unserer Tradition gesund und sach-
lich berechtigt ist, wird bei einem feinnervigen Baukünstler,
er mag nun Schweizer oder Süddeutscher sein, seine volle
Geltung behaupten; es wird stark genug sein, formal Neues
aber Wesensverwandtes organisch in sich aufzunehmen. V
V Die einleitenden Worte sollen uns der Aufgabe entheben,
die Bauten der Firma Theiler & Helber auf ihren Gehalt an
verschiedenartigen formalen Elementen zu analysieren. Wir
finden uns hier einfach einer Architektur gegenüber, die aus
dem heutigen weitern Kulturkreis der deutschen Schweiz
herausgewachsen ist, die sich ihrer Umgebung durchwegs in
überzeugender Weise anschmiegt und die gerade, was Aus-
gestaltung der Gesamtform und Gefühl für Materialcharakter
anbetrifft, in der Entwicklung unseres neuern Bauschaffens
vorbildlich dasteht. V
V Schon zwei der ersten Bauten der Firma belegen unser
Urteil; es sind Schulhaus und Pfarrhaus in Göschenen
(S. 128, 129) dem nördlichen Einfahrtstor des Gotthard gegen-
über. Man hatte auch dort, inmitten einer herben Natur, einer
Landschaft mit steil abfallenden Geröllhalden und Felsen, wo
Steinschläge und Lawinen ins Tal herunterdonnern, jahrzehnte-
lang die gute Bauüberlieferung vergessen; die Bauten der
jüngern Vergangenheit unterscheiden sich in nichts von der
Durchschnittsarchitektur irgendwo im Lande draussen. Die
Luzerner Architekten haben sich im Material durchaus an das
Bodenständige gehalten. Die Felsen und Schrunden, die den
Rahmen zu der Gruppe von Schul- und Pfarrhaus bilden,
brauchen sich des Menschenwerkes in ihrer unmittelbaren
Nähe nicht zu schämen. Das alte Baumaterial des Tales,
Granit, ist in unregelmässigem Schichtgemäuer für das
Aeussere zur Verwendung gekommen. Fenstereinfassung
und Gurten sind in behauenem Granit, die Giebel-

flächen , ebenfalls der Ortstradition gemäss, mit grossen
Rechteckschindeln verkleidet. Ein Schindeldachreiter gibt
dem Schulhaus im besondern den Charakter eines öffent-
lichen Gebäudes. Das Portal wird in seiner massigen Ge-
staltung durch keine Form von Schwung und Leichtigkeit
gemildert; zusammen mit dem wuchtigen Gemäuer des ganzen
Untergeschosses bestimmt es mit den Eindruck der Wehr-
haftigkeit, den das Gebäude auf den ersten Blick auslöst:
wehrhaft gegen das rauhe Klima, vor allem auch gegen den
Föhn, der im Talkessel von Göschenen allzuhäufig als wilder
Geselle tobt. Die drückenden Schneemassen des Bergwinters
wehrt ein konstruktiv verstärktes Doppeldach mit Schindel-
unterzug und Bieberschwanzeindeckung ab. Aehnlich ist das
kleine Pfarrhaus gegen Wind und Wetter geschützt; der hallen-
artige, schirmende Eingang mit Vorplatz, der ergiebige Erker mit
eleganterem Dach charakterisieren das Wohnhaus und bekunden
den Willen, in den vier Mauern gemütlich hausen zu wollen.
Der Umgebung entsprechend und den bescheidenen Mitteln,
die zum Baue verfügbar waren, ist die Innenausstattung des
Schulhauses einfach. In den Gemeindelokalitäten des Erd-
geschosses wie in Schulzimmern des ersten Stockes ist Bunt-
täfer verwendet, die Korridore sind mit einfachen, gross-
flächigen Mustern schabloniert. Die grossen Doppelflügel-
fenster sind eine so gute Lichtquelle, dass keine Bedenken
gegen die Sprossung sprachen, die den herben Eindruck der
Fassaden mildern. V
V Ebenfalls im urnerischen Tal der Reuss liegt Affing-
hausen, wo den Architekten die andersartige Aufgabe er-
wuchs, einer bestehenden reizvollen Baugruppe ein Schulhaus
einzugliedern. Die Gegend ist weit weniger rauh als in
Göschenen, allerdings noch gebirgig und im Einzugsgebiet
von Wildbächen, die im Frühling tosend zu Tal stürzen. Die
Gesamtsilhouette des Schulhauses, an dessen runden Treppen-
turm sich die Turnhalle vorzüglich angliedert, stimmt sich
ganz ausgezeichnet ein zum barocken Turmhelm der Kirche
und dem heimeligen Biedermeierhaus des Pfarrers. Die neue
Aufgabe erlaubte den Architekten eine verbindlichere Sprache;
das Dach erhält einen leichten Schwung, dem die Gauben
folgen, im Dachreiter klingt ein graziöses Barock an, die
Giebel erinnern schon an das ländliche Bürgerhaus, dem in
der Umgegend das reine Bauernhaus zu weichen beginnt.
Die Fassadenflächen sind verputzt und rauh abgerieben, in
guten Verhältnissen unterbrochen von den granitenen Fenster-
gurten und Simsen. Auch da ist das Portal von besonders
starker Note, die feste Zucht, welche die Jugend im Innern
erwartet, schon etwas nach aussen sichtbar machend. Doch
ist hier der Vorbau — ein kleiner und doch bezeichnender
Unterschied — nicht mehr wie in Göschenen mit massigem
Granit überdacht, sondern mit einem leicht gebogenen Blech-
dach. Der Untergeschossockel ist in verschiedenfarbigen
Kalksteinen aus den Wildbächen der Umgebung kräftig ge-
staltet und bildet eine charakteristische Ueberleitung zum
Terrain und dem grünen Schmuck der lebenden Hecke,
die den Schulplatz umgibt. Auch in Attinghausen ist die
innere Disposition so, dass neben der Schule die Amts-
lokalitäten der Gemeinde untergebracht sind; sämtliche Säle
sind mit Bunttäfer ausgestattet, die Böden, wie in Göschenen,
in Parkett, die Fenster mit Doppelflügeln. Die Dacheindeckung
ist wie in Göschenen, die Dachuntersichten sind verputzt. V
v Grösser als die beiden ersten Aufgaben war die in
Bürglen (Uri); hier galt es auf stark fallendem Gelände,
auch wieder in unmittelbarer Nähe eines steil ansteigenden
Hanges, eine umfangreichere Schulhausanlage zu bauen. Die
Disposition wurde so getroffen, dass der Wetterseite die am

114
 
Annotationen