Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst (11.1912)

DER WIEDERAUFBAU DES DORFES BÖHMENKIRCH UND ANDERE
ARBEITEN DES ARCHITEKTEN THEODOR HILLER, GÖPPINGEN

V Württemberg ist reich an malerischen Dörfern, die, aus
gleichen Zwecken und Wünschen entstanden, durch das Zu-
sammenwirken gleicher Stoffe, Konstruktionen und Beschrän-
kungen mit der Flur zum harmonischen Bilde verwachsen.
Unsere Zeit, die nur selten einfache Bedürfnisformen aus
anspruchslosen Materialien als Kunstwerke anzuerkennen ge-
willt ist und zumeist noch immer glaubt, kunstvolle Einzel-
schöpfungen müssten auch ohne Rücksichtnahme auf ihre
Umgebung künstlerisch wirken, kehrt erst langsam wieder
zu dieser gesunden Zusammenarbeit zurück. V
V So oft die Elemente dörfliche Siedelungen vernichten,
wird von einsichtsreichen Leuten der Versuch gemacht, den
Wiederaufbau derart zu beeinflussen, dass zugleich praktische
und ästhetisch befriedigende Arbeit geleistet wird. Leider
sind einwandfreie Erfolge bis jetzt nur selten erzielt worden.
Mit Vorschriften, mit Zwang und polizeilichen Massregeln
ist nicht allzuviel zu erreichen. Erst wenn der Einzelne die
Empfindung für das Zulässige wieder gewonnen hat, wenn
er die Wege erkennt, auf denen früher mit soviel Geschick
Altes und Neues zu einheitlichem Ganzen verschmolzen
wurde, erst dann können aufdringliche Geschmacklosigkeiten
auch beim Bauen auf dem Lande wieder vermieden werden.
V Der Wiederaufbau des zum Teil durch Feuersbrunst zer-
störten Dorfes Böhmenkirch auf der Hochebene der
schwäbischen Alb, ist, wie die hier folgenden Zeichnungen
zeigen, in diesem Sinne von Architekt Theodor Hiller in
Göppingen geplant worden. Da das Hilfskomitee Einfachheit
und Sparsamkeit verlangte, musste jede unnötige Zier ver-
mieden werden. Daher suchte der Architekt den reinen

Zweckbauten, die mit Rücksicht auf die besonderen klima-
tischen Verhältnisse des Ortes in Fachwerk errichtet wurden,
durch Barolanstriche der Schalungen, durch Schablonen-
malereien an den breiten Stirnbrettern, durch helle, freundliche
Putztönung und satte, ungebrochene Farbengebung der
Fensterläden charaktervolle Individualität zu geben. Weit-
ausladende Dachvorsprünge verleihen den bäuerlichen Wohn-
stätten den Ausdruck behäbiger Behaglichkeit, aber auch wirk-
samenSchutz gegen dieRegen-und Schneestürme derrauhenAlb.
V Leider sind die Entwürfe auch hier nicht restlos zur Aus-
führung gekommen. Das muss um so mehr bedauert werden,
als es dem Architekten gelang, die Grundgedanken durch
verständnisvolle Materialverwendung, geschickte Anpassung
an die einzelnen Aufgaben und feines Verständnis für die
örtlichen Besonderheiten derart zu schöner Schlichtheit und
einleuchtender Zweckmässigkeit zu entwickeln, dass das Er-
gebnis durchaus als beste Kunst angesehen werden muss.
V Den Plänen für Böhmenkirch sind noch einige andere
neuere Arbeiten Theodor Hillers im Bilde beigefügt, ein
reizvoller Villenentwurf für Frankfurt a. M., das behäbige
Wohnhaus des Architekten in Göppingen und der Umbau
des Hauses Bühl in Hall. Hier ist mit grossem Geschick
durch den Ausbau des Erdgeschosses und die Erneuerung
des Daches ein modernes Geschäftshaus geschaffen worden,
das sich den vorhandenen alten Haller Barockbauten har-
monisch einfügt. Die Vereinigung von neuzeitlich Gutem
mit den aus alter Praxis entstandenen Werten hat wiederum
etwas durchaus Modernes und doch heimelig Vertrautes er-
stehen lassen. C. H. BAER


THEODOR HILLER, GÖPPINGEN
Der Wiederaufbau des Dorfes Böhmenkirch. — Vogelperspektive der Gesamtanlage

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