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zcn Verwaltung bedacht; selbst die alte historische Einthei-
lung Frankreichs in Provinzen wurde, wie alles Historische,
aufgehoben und an deren Stelle die in Departements ge-
setzt. — So war also in dem eigentlichen Geiste und Prin-
cipe des französischen Staats- und Volkslebens durch die Re-
volution Nichts geändert. Man hatte zwar freie Institu-
tion errungen, aber der rechte Geist der Freiheit fehlte,
jener Freiheit nämlich, welche darin besteht, daß jeder seine
Thätigkeit ungehindert entwickelt und dem Andern dasselbe
Recht zngcsteht, und welche der Engländer so treffend mit
dem Worte solkbovernomant, Selbstregierung, bezeichnet.
Durch den langen Druck der Tyrannei gewöhnt, überall
nur Harschende oder Beherrschte zn sehen, konnten die Fran-
zosen auch die endlich erlangte Freiheit weder recht gebrauchen,
noch lange ertragen. Jeder starke Geist glaubte sich be-
rechtigt, sein Ideal von Freiheit und Gleichheit allen Andern
aufzudringen, nötigenfalls selbst mit Gewalt; Jeder stellte
seine Persönlichkeit voran und verlangte von den Ucbrigen,
daß sie sein Ucbcrgcwicht anerkennen sollten; es gab in dem
jungen Frcistaate so viele Tyrannen, als es Demagogen
gab, und der Despotismus dieser war um so größer, je
weniger sie hoffen durften, ihre Herrschaft anders als durch
gewaltsame Maßregeln zu behaupten, und je weniger sie
überhaupt aus eine lange Dauer derselben rechnen mochten.
— In Bezug auf die äußere Politik hatte die Republik
gleichfalls den kriegerischen, rühm - und eroberungssüchtigen
Geist der Monarchie geerbt. Die entfesselten Kräfte der
Nation suchten Beschäftigung, ihr aufgeregter Enthusiasmus
verlangte nach großen, erhabenen Thaten; die zerstörende,
gleichmachcnde Tendenz, welche die Revolution sehr bald ange-
nommen hatte, mußte sie nothwendig auch über die Gren-
zen Frankreichs hinausführen und zu einem Kriegszuge für
Ausbreitung der Herrschaft ihrer Principien geneigt machen.
ES ist die Frage aufgeworfen worden, ob die Revolution
diesen Gang genommen haben würde ohne die Einmischung
der fremden Mächte und ohne die Unterstützung, welche diese
den contrercvolulivnären Bestrebungen der Emigrirtcn angc-
deihen ließen. Es ist nicht unmöglich, daß die Revolution
zu ganz andern und weit günstigeren Resultaten geführt
hätte, wäre sie mehr sich selbst überlassen geblieben und
hätte sic sich ruhig entwickeln können, ohne durch die Um-
triebe der gestürzten Partheicn zu immer neuen Anstreng-
ungen und Bewegungen genöthigt zu werden. Vielleicht
hätte sich dann der Kampf der empörten Kräfte allmählig
beruhigt, und es wäre, veranlaßt durch das natürliche In-
teresse der Menschen für Gestaltung und Erhaltung eines
gesicherten Besitzstandes, ein geordneter, gesetzlicher Zustand
der Dinge eingetrcten. Gewiß ist, daß die Rüstungen der
deutschen Mächte zur Wiederherstellung des Köm'gthums in
Frankreich den Sturz der gemäßigten Parthci der Giron-
disten und den Sieg der Schreckensherrschaft hcrbciführten
und insofern müßte man, um gerecht zu scyn, der Unbeson-
nenheit jener Intervention einen großen Theil der trauri-
gen Folgen zurechncn, welche aus der französischen Revolu-
tion für Frankreich selbst und für Europa hervorgcgangen
sind.
Die Revolution endete in der militärischen Diktatur
Napoleons. Die iuncrn Partheikämpfe hörten auf, indem

die ganze Kraft des Staats nach außen gewendet ward;
die Nation ließ sich jetzt im Namen des Ruhms tyranni-
siren, wie vorhin im Namen der Freiheit. Napoleon or-
ganisirte den französischen Staat, er gab ihm eine geregelte
Verwaltung und Gesetzgebung wieder, freilich alles nur
mit strengster Rücksicht auf seine Hauptideen, die militärische
Größe Frankreichs. Er bildete das System der Centrali-
sation zur höchsten Vollkommenheit aus, um in jedem Au-
genblicke über alle Kräfte des Landes disponiren zu können,
um seinen Befehlen die schnellste Vollstreckung zn sichern
und um die Stimmung des Volkes durch eine militärisch
gegliederte und eingeübte Beamtenhierarchie fortwährend zu
überwachen, zu kennen und zu leiten. So wie er die Na-
tionalrepräscntation zu einem bloßen Schatten machte, so be-
raubte er auch die Municipal - und Lokalbehörden jeder
Gewalt, seinen Befehlen auch nur einen augenblicklichen
Widerstand entgegen zu setzen, und hob somit die Sclhst-
ständigkeit der Gemeinden und Corporationcn völlig aus.
Von freien Aeußerungen eines Volksgeistcs und einer öffent-
lichen Meinung in einem andern Sinne, als dem des Dik-
tators, durfte natürlich nie die Rede scyn. Daß die Fran-
zosen diesen furchtbaren Despotismus so lange nicht nur er-
trugen, sondern auch bejubelten, beweist, daß der Sinn
für die wahre Freiheit in ihnen durch die früheren Gewalt-
herrschaften bis in den innersten Keim hinein ertödtet und
durch die Revolution noch nicht wieder erweckt worden war.
Die auf Napoleons endlichen Sturz folgende Periode, be-
kannt unter dem Namen der Restaurationszeit, war zwar
ebenfalls der Entwicklung eines freien, selbstständigen Volks-
lebens keineswegs günstig, da die Bourbons, welche, nach
einem bekannten Aussprüche, in der Verbannung „Nichts
gelernt und Nichts vergessen" hatten, nur bemüht waren, die
Macht des Adels und der Geistlichkeit wieder herzustcllcn
und die Volksfreiheiten zu beschränken. Allein ein wichtiger
Fortschritt über die früheren Zustände hinaus war doch da-
durch gewonnen, daß gewisse gesetzliche Schranken gegen
die Willkühr der Herrschenden aufgerichtet waren, und
daß sowohl die reactionärc Parthci, welche auf Beschrän-
kung oder Vernichtung der Freiheiten des Volks ausging,
als auch die Parthci der Bewegung, welche dieselben zu er-
weitern strebte, für die'Ausführung ihrer Absichten sich we-
nigstens gesetzlicher Formen bedienen mußten. Die parla-
mentarische Opposition, welche sich gegen die reactionärc
Politik der Restauration erhob, lernte in den steten und
schwierigen Kämpfen, durch welche sic Schritt vor Schritt
den Boden der Freiheit gegen die Uebergrisfe der Negierung
vertheidigte, zugleich diese Freiheit Lesser verstehen und rich-
tiger würdigen, als cs die durch kein gerichtliches Gegen-
gewicht in Schranken gehaltenen Partheien der Revolu-
tionszeit vermocht hatten. Auch fanden diese Bestrebungen
der liberalen Opposition jetzt eine breitere und solidere Ba-
sis an den industriellen Mittelklassen, die in Folge der
größeren Freiheit der Gewerbe, welche die Revolution ge-
bracht und welche das Kaiscrthum, ans andern Rücksichten,
ebenfalls begünstigt hatte, zu einer ziemlich compacten und
gewichtigen Macht im Staate erwachsen waren.
(Forts, folgt.)
 
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