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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Hrsg.]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (2. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

DOI Kapitel:
Wissenschaft und Kunst des Klosters
DOI Artikel:
Längin, Theodor: Altalemannische Sprachquellen aus der Reichenau
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.61011#0101

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Runen aus Reichenau

701

stätt fern,

zu Mfl

Sprungs sein. Es ist aber bezeichnend, daß im
musikpflegenden Reichenau dieses Rätsel auf ge-
schrieben wurde. Das Runen-Abc ist wiederum
das angelsächsische und weicht nur in wenigen
Einzelheiten von dem vorgenannten Abc ab.

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für UfflEC:

Heiler,
1

Ein dritter Reichenauer Runeneintrag.
Ganz anderer Art ist der dritte Reichenauer Ru-
neneintrag. Die Pergamenthandschrift CLXIII
enthält die Schrift des im ganzen Mittelalter
beliebten Grammatikers Priscianus. Die Rück-
seite des letzten Blattes 165 trägt nur oben den
Titel in roten Kapitalbuchstaben, darüber auf
dem Rand stehen ziemlich in der Mitte die Ru-
nen in Schwarz. Es sind die vereinfachten Linien
der nordischen punktierten Runen, wie sie in
Norwegen seit dem 11. Jahrhundert, selbst auf
Münzen, üblich wurden. Die Bezeichnung von o
durch die nach links \ gewendete Rune für a
kommt dort etwa um 1040 auf. Sie sind als
Deckschrift für lateinische Worte verwendet:
, : constitit : argenti : III : id est [tre]s
»kostete an Silber(pfund) III, d. h. drei*.20)
Die Handschrift macht einen fremdartigen Ein-
druck, die Schriftzüge weichen ganz von den in
der Reichenau üblichen ab und gehören wohl ins
Ausland. Prof. Preisendanz weist nach einer gü-
tigen vorläufigen Durchsicht die Schrift nach
Italien oder Nordfrankreich. Er bestätigt, daß
sie wohl noch ins 11. Jahrhundert zu setzen ist,
während Holder in seinem Verzeichnis Bd. III,
S. 389 das 12. Jahrhundert nennt. Da der Preis
in nordischen, nicht in angelsächsischen Runen
geschrieben ist, wird die Handschrift bei einem
oder durch einen Nordländer, wohl auch in
Skandinavien, gekauft worden sein; ob sie auch
dort geschrieben sein kann, wird erst eine ge-
nauere Untersuchung feststellen müssen. In die
Reichenau ist sie erst später gekommen; denn auf
der Leinwandfüllung des Hinterdeckels steht in
verblaßter Frakturschrift des 14./15. Jahrhun-

»fl Bischoff

erinnert

Das zweite Reichenauer Runen-Abc
mit Rätsel
Während in der ersten Handschrift die Runen
nur als Abc zum Nachschlagen aufgeschrieben
waren, findet sie in der zweiten auch ihre prak-
tische Anwendung. Die Handschrift CLXXVI
enthält den hl. Augustin zu Johannes, geschrieben
im 9. Jahrhundert, und wird schon in Reginberts
Rotulus I und II a von 821 genannt. Auf der leer
gelassenen Vorderseite des Blattes II sind mit
Benützung der von der beschriebenen Rückseite
durchgedrückten Liniierung 8 Zeilen in großen
Runenbuchstaben geschrieben; unmittelbar darauf
folgt als Erklärung ein Runen-Abc. Der Name
der Runen steht in der 1. Zeile, darunter die
Rune, unter dieser der lateinische Buchstabe.
Das Blatt ist zerknittert; die Schrift muß schon
früher zum Teil undeutlich geworden sein; denn
eine ungeübte Hand späterer Jahrhunderte hat in
der nächsten Zeile die jetzt undeutlichen Runen
wiederholt. Die Runenzeilen ergeben folgende
vier lateinische leonmische Hexameter:
,non tibi sit nostras indignum noscere cansas :.
Sex summus in lucem genite sine Ince sorores :.
Saltamus • canimus ludos sine mente monemus
Hoc nobis mors posse dedit quod uita negauit.6
Verdeutscht so etwa wiederzugeben:
»Nicht sei es unwert dir, zu merken unseren Ur-
sprung :
Dunkel war unser Heim, jetzt sind wir sechs
Schwestern im Hellen,
Lieder singen wir ohne Bedacht und tanzen und
springen,
Was uns das Leben versagt, hat uns der Tod
erst gebracht/
Mone, der sie in seinem Anzeiger 1838 Spalte 39
Nr. 39 abdruckt, bezeichnet als Lösung: die
sechs Saiten der Cithara. Die althochdeutschen
Glossen kennen wohl die ,Citara‘, aber wir ken-
nen keine deutschen Musikinstrumente mit gerade
sechs Saiten. Das Rätsel wird also älteren Ur-
 
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