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Repertorium für Kunstwissenschaft — 1.1875

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Lübke, Wilhelm: Zur Geschichte der holländischen Schützen- und Regentenbilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.61801#0016

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Lübke: Holländische

die anderen Grossen des 15. Jahrhunderts, wo es irgend angeht, in
ihre biblischen oder legendarischen Bilder die Zeitgenossen in dichten
Schaaren zu Zeugen der heiligen Handlung aufnehmen. Es sind Gruppen,
die wie der Chor der oantiken Tragödie die Handlung theilnehmend
begleiten, bisweilen sogar mit der Wucht ihrer Bedeutung das Interesse
am Gegenstände selbst fast ersticken und die Aufmerksamkeit vom
eigentlichen Vorgänge ablenken.
Eine andere, vielleicht mehr berechtigte, aber meist minder künst-
lerische Art, das Bildniss in die kirchliche Malerei einzuführen, ist, wo
die Stifter einer Altartafel sich mit ihrer Familie anbetend vor dem
Heiland oder verehrend vor der Madonna darstellen lassen. Die kinder-
reichen Familien der Augsburger, Ulmer, Nürnberger Patrizier finden
wir, solchergestalt unter den Schutz der Himmlischen gestellt, oft in
Votivgemälden angebracht. Holbein’s berühmtestes Werk, die Meyer’sche
Madonna, ist das Prachtstück dieser Gattung.
Es ward nun die Aufgabe des protestantisch gewordenen Nordens,
diese mehr oder minder lose Verbindung des Profanen und Kirchlichen
zu trennen und zu einer wirklichen Profanmalerei fortzuschreiten, in
welcher ausschliesslich die Darstellung des Individuums zur Geltung
kommt. Wie man aber vom Mittelalter her Zunftverbände, genossen-
schaftliche und gesellige Vereinigungen aller Art gewohnt war, so ge-
wann die Kunst alsbald die Aufgabe, solche Gollectiverscheinungen im
Bilde zu fixiren. Wir finden diese Richtung bemerkenswerther Weise
in den beiden staatlichen Gemeinwesen republikanischer und protestan-
tischer Ordnung, welche die germanische Welt hervorgebracht: in der
Schweiz und in Holland. In der Schweiz, eigenthümlich genug, ist es
die dort mit Begeisterung cultivirte Glasmalerei, welche die meisten
Spuren dieser Art bewahrt hat. Noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts
werden gemalte Scheiben in die Zunftstuben gestiftet, auf welchen man
die Zunftgenossen beim fröhlichen Schmaus vereinigt siehtJ).
Ungleich bedeutsamere Gestalt gewannen diese Darstellungen in
Holland. Sie bildeten dort recht eigentlich den Mittelpunkt für die
grossartige, durchaus selbständige Entfaltung der Malerei, ja seit dem
Wegfall der gesammten kirchlichen Kunst, welche der calvinistischen
Lehre des Landes ein heidnischer Gräuel war, wurden sie die eigent-
liche monumentale Malerei der Holländer. Und dies um so entschiedener,
als die alten niederländischen Künstler in ihrer ästhetischen Kern-
gesundheit nichts von der Sehnsucht nach der sogenannten Geschichts-
malerei kannten, welche unserer Zeit so viele unnütze Schmerzen ver-

J) Zahn’s Jahrb. f. Kunstw., I, S. 31.
 
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