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Repertorium für Kunstwissenschaft — 1.1875

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Lübke, Wilhelm: Zur Geschichte der holländischen Schützen- und Regentenbilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.61801#0015

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Zur Geschichte der holländischen Schützen- und
Regentenbilder.

Von W. Llibke.
I.
Die Malerei des Mittelalters, fast ausnahmslos kirchlich wie sie ist,
kennt das profane Individuum nicht. Bei ihr ist Alles typisch, und
selbst wo sie einmal ein Bildniss wagen muss, gewinnt dies ihr unter
den Händen unwillkürlich einen conventionell idealisirenden Zuschnitt.
Selbst die Plastik, trotz der häufig von ihr verlangten Grabfiguren,
erliegt diesem Bann, innerhalb dessen sich Jahrhunderte lang wie in
einem Zauberkreis die Gesammtkunst des Mittelalters bewegte. Wenn
man in St. Denis die im 13. Jahrhundert massenhaft zu Stande gekom-
menen Statuen der französischen Könige betrachtet, so erkennt man,
wie wenig damals die Kunst sich zur Portraitauffassung zu erheben
vermochte. Sie konnte nicht, weil sie nicht wollte; sie wollte nicht,
weil sie nicht konnte. Die Natur war ihr verhüllt, sie sah dieselbe
nur durch einen dichten Schleier.
Als die grosse Bewegung der Renaissance, welche die neue Zeit
bahnbrechend einleitet, diesen Schleier zerrissen hatte, stieg plötzlich im
Leben wie in der Kunst mächtig der Werth des Individuums. Der
Einzelne, aus den Fesseln verjährter Anschauungen befreit, tritt mit
gebieterischer Macht gestaltend ins Leben und wird nun sofort der
Kunst ein Gegenstand höchsten Interesses. Wenn auch der kirchliche
Stoffkreis noch über ein Jahrhundert hindurch die Kunst zu beherrschen
vermag — erfüllen kann er sie nicht mehr. Die Natur und der ein-
zelne Mensch nehmen das Auge des Künstlers gefangen; fortan ist es
ihm eine Herzenssache, die charakteristische Erscheinung des indivi-
duellen Lebens mit aller Bestimmtheit anzustreben. So kommt es, dass
ein Domenico Ghirlandajo, Benozzo Gozzoli, Pietro Perugino und alle
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