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Repertorium für Kunstwissenschaft — 1.1875

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Woltmann, Alfred: Karl Schnaase
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https://doi.org/10.11588/diglit.61801#0208

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Karl Sclinaase.

In Schnaase hat die neuere Kunstwissenschaft ihren Meister verloren.
Unter den Männern, welche ihr in unserem Jahrhundert die Grenzen gezogen
und die Bahn gewiesen, stand keiner so hoch wie er durch umfassenden
Ueberblick über alle Zweige dieser Disciplin sowie alle angrenzenden Gebiete
des Wissens, durch Gorrectheit in der Methode und Klarheit in der Darstel-
lung , durch jene geistige Tiefe, welche überall die Kunst im innigsten Zu-
sammenhang mit dem gesammten Gultur- und Geistesleben auffasst und ihrer
geschichtlichen Auffassung und Erforschung eine gesicherte Stellung im allge-
meinen Bildungsleben schuf. Wenn ein Greis von siebenundsiebzig Jahren
stirbt, ein Mann, dessen Gesundheit ausserdem seit Jahrzehnten eine zarte und
schwankende war , und der sich nur durch die sorgfältigste Schonung seiner
Kräfte so lange erhielt, so ist dies kein überraschendes Ereigniss, aber es ist
desshalb für seine wissenschaftlichen Freunde nicht minder ergreifend. Zu
dem Schmerze um die ehrwürdige und seltene Persönlichkeit, an welcher Jeder,
der ihr nahegetreten, mit Hingebung hängen musste, kommt das Gefühl, dass
eine bestimmte Epoche derjenigen Wissenschaft, die er vertrat, mit ihm ab-
schliesst, dass mit Sclinaase der letzte unter den eigentlichen Begründern der
Kunstgeschichte geschieden ist.
Sein Leben verlief in ruhiger Bahn, ohne ungewöhnliche Ereignisse, als
das einfache Dasein eines Gelehrten, dessen Interesse wesentlich auf die har-
monische Ausbildung zu seinem wissenschaftlichen Berufe, auf die stille, con-
sequente Arbeit im Dienste desselben gerichtet war. Er wurde am 7. Sep-
tember 1/98 zu Danzig geboren, das Kind einer sehr vermögenden und ange-
sehenen Familie. Der Vater, ehemals Jurist, war Besitzer einer grossen Wein-
handlung, liebte glänzenden Aufwand und bewegte sich beinahe fortwährend auf
grösseren Reisen, die er mit der ganzen Familie unternahm. Die Mutter war eine
sanfte, kränkliche Frau, die ihren Karl zärtlich liebte; seiner fünf Jahre älteren
Schwester Pauline schloss er sich mit besonderer Innigkeit an. Ausserdem
besass er zwei Brüder Wilhelm und Fritz, der erste etwas älter, der zweite
jünger als er, beide im Wesen sehr von ihm verschieden. Das Jahr 1803
verlebte die Familie in Paris, dann zog sie nach Berlin. Karl’s erste Erinne-
rungen knüpften sich an den Einzug der Franzosen in Berlin nach der Schlacht
 
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