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Repertorium für Kunstwissenschaft — 1.1875

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Literaturbericht
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https://doi.org/10.11588/diglit.61801#0303

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Literaturbericht.

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liehen Erscheinungen vollzogen zu haben, wie sie in gleichzeitigen Bauten der
Schweiz beobachtet werden. Die ersten von diesem Processe berührten Monu-
mente sind noch strenger, einfacher sogar als die der unmittelbar vorher-
gehenden spätromanischen Epoche. Die Anwendung des Spitzbogens be-
schränkt sich auf die Wölbung, aber ohne vorerst zu weiteren Gonsequenzen
zu führen: das alte System der Doppeljoche behielt man bei, auch Fenster
und Thüren sind noch häufig im Rundbogen geschlossen. Neu sind die Strebe-
pfeiler an der imposanten Fa<;ade von Leodegar zu Gebweiler (noch unter
französischer Herrschaft vortrefflich restaurirt) und am Chor zu Pfaffenheini,
wo zum ersten Male an die Stelle der halbkreisförmigen Apsis ein aus fünf
Seiten des Achtecks gebildetes Halbpolygon tritt. Dieselbe Erscheinung wieder-
holt sich in der annähernd gleichzeitigen Kirche von S. Ursanne im Bisthum
Basel, die, wie die Gollegiatkirche von Neuchätel, mit der elsässischen Bau-
schule augenscheinlich eng zusammenhängend, gelegentlich wohl hätte genannt
werden können. Folgt in den vorher erwähnten, wie anderen Bauten, das
Detail noch wesentlich den alten romanischen Traditionen, so tritt das gothische
System zum ersten Male mit allen seinen Consequenzen in der westlichen Fort-
setzung der Stiftskirche von Neuweiler in Kraft; wir finden hier den Streb-
bogen, und Bündelpfeiler und zwar in gleicher Form für Haupt- und Neben-
stützen, das sechstheilige Rippengewölbe, und den Spitzbogen fast allgemein
herrschend.
Ihren glänzendsten Ausdruck fand die neue Weise in dem Bau des
Strassburger Münsters, der 1176 mit Beibehaltung der östlichen Grund-
anlage begonnen und langsam mit fortschreitender Kenntniss des fremden
Systems gefördert wurde. Noch vor der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts
begann der Neubau des Schiffes durch Meister Heinricus dictus Wehelin,
wie ein nachträglich von dem Verfasser entdeckter Vermerk in dem Wohl-
thäterbuche des Münsters besagt. Er fand seinen Abschluss 1275; zwei Jahre
später erfolgte die Grundsteinlegung der Faqade durch Meister Erwin von
Steinbach, der früher wohl selbst an französischen Bauten bethätigt, unter
allen Umständen aber in der Anschauung solcher geübt, ihr System mit einer
Gonsequenz zur Geltung brachte, wie es auf deutschem Boden sonst nicht
mehr zur Anwendung gelangte. Der Bau dieser herrlichen Faqade wurde
rasch gefördert bis 1298, als ein Brand, in der Nähe des Münsters ausgebrochen,
einen grossen Theil desselben beschädigte. Wie sich in damaliger Zeit unter
den Auspicien eines so bedeutenden Meisters nicht anders erwarten liess, ver-
blieb es nicht bei einer einfachen Reconstruction des früheren Systems. Die
Höhenmaasse wurden beträchtlich gesteigert und der Oberbau des Schiffes in
einer Weise verändert, die auch hier den französischen Stil zu reicher Ent-
faltung brachte. Erwin f 1318, nach einer wenigstens vier Decennien langen
Thätigkeit, die er dem Ausbau des Münsters zugewendet. Diese wurde zunächst
fortgesetzt durch zwei seiner Söhne und einen 1339 verstorbenen Enkel.
Ihnen folgte ein gewisser Gerlach, unter welchem — so scheint es — die
Thürme bis zur Höhe der jetzigen Plattform gediehen. So weit stimmte das
Werk noch im Wesentlichen mit Erwin’s Entwurf überein, jetzt aber, wahr-
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