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Heinrich Wölfflin: Jakob Burekhardt.
ins Reine gebracht zu haben und daneben blieb ihm eine Art der Aeusse-
rung, auf die er allerdings nicht verzichtet hätte: die Vorlesung an der
Universität.
B.’sche Collegien gehört zu haben, ist eine Erinnerung fürs ganze
Leben. Es waren völlig kunstmäsHg durchgearbeitete Vorträge, wo sich
aber die Kunst hinter dem Schein der zufälligen momentanen Aeusserung
versteckte. Er sprach ganz ohne Heft, sehr fliessend und sauber, und mit
höchster Oeconomie in den Wirkungsmitteln. Von Natur für das Pathetische
disponirt, sparte er solche Steigerungen doch für ganz ausgewählte Mo-
mente, wo er dann geheimnissvoll-leise redete und die Stimme vibrirte, so
etwa, wenn er auf die Schönheit des Kölner Domes oder auf die ungeheure
Begabung von Rubens zu sprechen kam. Häufiger liess er den Humo-
risten zu Worte kommen, aber so fein, dass immer nur Wenige die eigent-
liche Stimmung des Redners merkten. Generalsentenzen bekam man
wenige zu hören. Die Thatsachen der Geschichte sollten für sich wirken
und nur von dem Fatalismus, der zu seiner Weltanschauung gehörte, liess
er etwa einen Ton mitklingen.
So gern er lehrte, so wenig entsprach es seinen Wünschen, Schüler
zu ziehen. Sein Ziel war, anzuregen zu einer geschichtlichen Betrachtung
der Dinge, den Glauben zu wecken, dass es der Mühe werth sei, mit der
Vergangenheit sich in Beziehung zu setzen, aber jeder sollte ihr entnehmen
dürfen, was ihm zusagte; er wollte Liebhaber bilden, nicht Fachleute. Und
so waren die kunstgeschichtlichen Vorlesungen. Er zeigte viel und sagte
dazu etwa das, was ein feiner Kunstfreund sagen würde, der einen Be-
kannten in seinem Cabinet herumführt. Auf eine methodische Behandlung
der Objecte wollte er sich nicht einlassen. Er war kein Freund von
Seminarien, so wenig wie von Instituten und Congressen. Auf seine Art
aber hat er es zu Stande gebracht, dass die ganze Stadt Basel sich für
Kunst interessirt, dass nwi reist und Bilder kauft und Nietzsche hat ganz
Recht: es ist Jakob Burekhardt, dem Basel in erster Linie seinen Vorrang
an Humanität verdankt.
Ich habe schon gesagt, wie sehr B. an seiner Vaterstadt hing. Ab-
gesehen davon, dass ihm der mehrfache Wechsel des Aufenthaltsortes als
unverantwortlicher Kraftverlust erschien, empfand er es als Nothwendig-
keit, eine „bürgerliche Existenz“ zu haben. Und dann genoss er in Basel
eine Unabhängigkeit, die er über Alles hochschätzte. Er behielt die contem-
plative Stimmung des wahren Historikers, die Seelenruhe, von der er am
Schluss des Cicerone spricht. Es ist eine müssige Frage, ob B. nicht in
grösseren Verhältnissen sich noch ganz anders entwickelt hätte, es gab für
ihn gar keine andere Möglichkeit. Wer ihn in seinen höheren Jahren ge-
kannt hat, der gesteht, dass der Anblick dieser ganz reifen Bildung ein
Eindruck ohne gleichen gewesen ist. Kein Besucher verliess ihn, ohne
sich innerlich freier zu fühlen. Und so kann man wohl sagen, er sei eine
jener „vollständigen“ Naturen gewesen, denen sich ihr Leben zum Kunst-
werk gestaltet hat. Heinrich Wölfflin.
Heinrich Wölfflin: Jakob Burekhardt.
ins Reine gebracht zu haben und daneben blieb ihm eine Art der Aeusse-
rung, auf die er allerdings nicht verzichtet hätte: die Vorlesung an der
Universität.
B.’sche Collegien gehört zu haben, ist eine Erinnerung fürs ganze
Leben. Es waren völlig kunstmäsHg durchgearbeitete Vorträge, wo sich
aber die Kunst hinter dem Schein der zufälligen momentanen Aeusserung
versteckte. Er sprach ganz ohne Heft, sehr fliessend und sauber, und mit
höchster Oeconomie in den Wirkungsmitteln. Von Natur für das Pathetische
disponirt, sparte er solche Steigerungen doch für ganz ausgewählte Mo-
mente, wo er dann geheimnissvoll-leise redete und die Stimme vibrirte, so
etwa, wenn er auf die Schönheit des Kölner Domes oder auf die ungeheure
Begabung von Rubens zu sprechen kam. Häufiger liess er den Humo-
risten zu Worte kommen, aber so fein, dass immer nur Wenige die eigent-
liche Stimmung des Redners merkten. Generalsentenzen bekam man
wenige zu hören. Die Thatsachen der Geschichte sollten für sich wirken
und nur von dem Fatalismus, der zu seiner Weltanschauung gehörte, liess
er etwa einen Ton mitklingen.
So gern er lehrte, so wenig entsprach es seinen Wünschen, Schüler
zu ziehen. Sein Ziel war, anzuregen zu einer geschichtlichen Betrachtung
der Dinge, den Glauben zu wecken, dass es der Mühe werth sei, mit der
Vergangenheit sich in Beziehung zu setzen, aber jeder sollte ihr entnehmen
dürfen, was ihm zusagte; er wollte Liebhaber bilden, nicht Fachleute. Und
so waren die kunstgeschichtlichen Vorlesungen. Er zeigte viel und sagte
dazu etwa das, was ein feiner Kunstfreund sagen würde, der einen Be-
kannten in seinem Cabinet herumführt. Auf eine methodische Behandlung
der Objecte wollte er sich nicht einlassen. Er war kein Freund von
Seminarien, so wenig wie von Instituten und Congressen. Auf seine Art
aber hat er es zu Stande gebracht, dass die ganze Stadt Basel sich für
Kunst interessirt, dass nwi reist und Bilder kauft und Nietzsche hat ganz
Recht: es ist Jakob Burekhardt, dem Basel in erster Linie seinen Vorrang
an Humanität verdankt.
Ich habe schon gesagt, wie sehr B. an seiner Vaterstadt hing. Ab-
gesehen davon, dass ihm der mehrfache Wechsel des Aufenthaltsortes als
unverantwortlicher Kraftverlust erschien, empfand er es als Nothwendig-
keit, eine „bürgerliche Existenz“ zu haben. Und dann genoss er in Basel
eine Unabhängigkeit, die er über Alles hochschätzte. Er behielt die contem-
plative Stimmung des wahren Historikers, die Seelenruhe, von der er am
Schluss des Cicerone spricht. Es ist eine müssige Frage, ob B. nicht in
grösseren Verhältnissen sich noch ganz anders entwickelt hätte, es gab für
ihn gar keine andere Möglichkeit. Wer ihn in seinen höheren Jahren ge-
kannt hat, der gesteht, dass der Anblick dieser ganz reifen Bildung ein
Eindruck ohne gleichen gewesen ist. Kein Besucher verliess ihn, ohne
sich innerlich freier zu fühlen. Und so kann man wohl sagen, er sei eine
jener „vollständigen“ Naturen gewesen, denen sich ihr Leben zum Kunst-
werk gestaltet hat. Heinrich Wölfflin.