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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 11.1920

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Fünftes Heft
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Schwitters, Kurt: Tran Nummer 11: Deutsche Volkskritik, die Kritik des Wiederaufbaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.37133#0074

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Tran Nummer 11
Deutsche Volkskritik, die Kritik des Wieder**
aufbaus
Herr Max Streese, offenbar Mitglied der
deutschen Volkskritikerpartei, der Partei
des künstlerischen Wiederaufbaus, geht
seinen Weg zielbewusst rückwärts. Er
kommt dabei zu einer erfreulich reaktionären
Kritik in den Leipziger Neuesten Nach-
richten vom 5. 6. 20, die der Hannoversche
Anzeiger und andere ähnliche Zeitungen
abdruckten, und erkennt in dem Zurück-
bleiben der deutschen Kunstentwicklung
„unverkennbar" einen Schritt auf dem Wege
des Wiederaufbaus.
Solch eine Wiederaufbaukritik kommt nun
so zustande: Herr Max Streese geht in die
Ausstellung auf der Mathildcnhöhe. Er
will doch mal sehen, was denn dieser ver-
dammte Expressionismus wieder einmal
„zertrümmert" hat, und ob sich nicht
langsam „etwas herauskristallisiert", das
„auch dem Laien das notwendige gewalt-
same Zertrümmern begreiflich erscheinen
lässt." Herr Streese, ich fürchte, Sie werden
den Expressionismus so leichte nich be-
greifen. „Der erste Eindruck ist naturge-
mäss ein sinnverwirrender." (Da stehst
halt machtlos visavis.) Kunst ist doch et-
was, das mich erheben soll, besonders jetzt
aus die Misäre! „Demnach lässt sich bei ein-
gehendem Beschauen nicht leugnen, dass die
Zeit der Gärung vorübergeht." Also: Herrn
Max Streeses Sinne sind verrwirrt. Gleich-
sam Hallucinationcn. Reden etwa die Bilder?
„Raufediewaub." Herr Streese fasst sich
an den Kopf. Es ist ihm, als ob die Bil-
der fortwährend das Wort „Raufediewaub"
rieten. Was ist das für ein entsetzliches
Wort? Das ist wahrscheinlich Gärung. So
ähnlich wie Revolution. Sogar die Waub
rauft. Herrn Streese sprühen Funken vor
den Ohren. Soll das etwa „Weib" heissen?
Da werden Wauhe zu Hyänen? Richtig, die
Künstler sind mit dem Worte „Waub" ge-
meint. Es ist ja bekannt, alle Künstler haben
einen weiblichen Einschlag. Und treiben
mit Entsetzen Spott, diese entsetzlichen
Spötter! Herr Streese besinnt sich. Viel-
leicht kommt man mit Ruhe und Über-
legung doch hinter den Sinn dieses Ex-
pressionismus. Und nun beschaut er die
Gärung eingehend. Raufediewaub, das ist

ja Wiederaufbau, weiter nichts als Wie-
deraufbau. Man muss es nur richtig be-
trachten, die Zurückgebliebenen betrachten.
Darum hätte man sich doch nicht aufzu-
regen brauchen. Und nun erkennt Herr
Streese, „dass die expressionistische Be-
wegung in absehbarer Zeit wieder in sehr
gesunde Rahnen überläuft." Offenbar ist
die expressionistische Bewegung ein Topf.
Die vielen Mitläufer, die Herr Max Streese
bereits „auszuschalten" beginnt, offenbar
hängen diese Mitläufer an einer elektrischen
Leitung, diese Mitläufer haben ihn vollge-
macht, den Topf nämlich, und nun läuft
er über, und zwar grade in die sehr
gesunden Bahnen des Wiederaufbaus, die
neben dem Topf vorbeifahren. Hier scheint
es sich um elektrische Materialförderbahnen
zu handeln, die ähnlich wie die Mitläufer
ausgeschaltet werden können (confer Brock-
haus). Es scheint sehr wichtig zu sein, dass
der Expressionismus in diese Bahnen über-
läuft. Expressionismus scheint etwa eine
Schmierflüssigkeit zu sein, offenbar müssen
die sehr gesunden Bahnen des Wiederauf-
baus mal geschmiert werden. Und dann
erklärt Herr Max Streese, was denn eigent-
lich dieser Wiederaufbau ist, „dass sich aus
der uns ureigentlich wesensfremden Kunst
des Expressionismus (Herr Streese, Ihnen
ist die Kunst des Expressionismus tatsäch-
lich ureigentlich wesensfremd) ein typischer
deutscher Charakter herausgebihlet hat."
Heil dir im Siegerkranz, Mottenlöcher hin,
Mottenlöcher her, armes Deutschland! „Es
fehlen selbstverständlich auch die Extremen
in der Ausstellung nicht, aber Bilder wie
„Sturmgruppe" können zweifellos als Ex-
periment bezeichnet werden." Und das be-
hauptet ein sinnverwirrter Wiederaufbau-
kritiker, der selbst zugibt, dass ihm der
Expressionismus ureigentlich wesensfremd
ist. Und nun gar die Arheiterbilder von
Kurt Schwitters und anderen. „Schwitters
malt nicht mehr, sondern sucht Auslese
aus den Kehrichthaufen ... Über diese An-
fänge sind wir Gott sei Dank hinaus." Und
das behauptet ein sinnverwirrter Wieder-
aufbaukritiker, dem der Expressionismus ur-
eigentlich wesensfremd ist. Ich danke dir
Gott, dass ich nicht so bin, wie diese Sün-
der und Zöllner, Ehebrecher, Sturmkünstler,
Expressionisten und Merzmaler. (Achtung
Helltoren Salz- und Rostfrei, hellgelb).

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