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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 11.1920

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Fünftes Heft
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Schwitters, Kurt: Tran Nummer 11: Deutsche Volkskritik, die Kritik des Wiederaufbaus
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Blümner, Rudolf: Kleine kritische Fabeln, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37133#0075

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Aber ich will es ihnen schonst zeigen! Wenn
ich auch nicht weiss, um was es sich
handelt bei diesem verfluchten Expressionis-
mus, so behaupte ich einfach, diese ganze
Entwicklung hätte ich längst hinter mir.
„Im Geiste des Neinsagens" nenne ich das
dann Wiederaufbau. Darauf behaupte ich
dann, „die grosse Mehrzahl der Künstler
ginge ihren Weg zielbewusst vorwärts",
und liefe in sehr gesunde Bahnen über
(die Zurückgebliebenen nämlich). Herr
Max Streese, hier kann ich Sie nicht wider-
legen; die kleine Einzahl heisst „Waub",
die grosse Mehrzahl „Wiederaufbau". Als
Beweis dafür, dass die grosse Mehrzahl in
sehr gesunde Bahnen überläuft, führt Herr
Max Streese dann die „Einzelerscheinung"
Picasso an, der „heute fast realistisch malt".
Herr Max Streese, bilden Sie sich etwa ein,
Picassos künstlerische Beweggründe be-
greifen zu können, da Sie seinen Kubismus
noch nicht begriffen haben? Wenn ich zum
Beispiel jetzt plötzlich ein naturalistisches
Porträt malte, etwa hier dieses Porträt Ihrer
kritischen Persönlichkeit, dann behaupten
Sie womöglich nächstens, ich würde meiner
Merzmalerei untreu und gehörte der Partei
des Wiederaufbaus an. Sehr freundlich,
aber danke bestens. Ihr Wiederaufbau ist
ein windschiefes und morsches alles Haus,
das Sie von allen Seiten stützen müssen,
damit es der Sturm nicht umweht. Aber
schadet nichts, nur ruhig umpusten lassen,
Sind ja Wiederaufbaupartei.*)
Kurt Schwitters

Kleine kritische Fabeln
ix
Es war einmal ein Glasermeister. Seine Ge-
schicklichkeit im Zerbrechen von Glas-
scheiben war so gross, dass viele reiche Leute
sich von ihm Fensterscheiben einsetzen
liessen. Nun hatten grade die Schildbürger
abseits vom Weg ein grosses Haus gebaut. Ein
berühmter Tiermaler hatte die grössten
der Fensterscheiben mit herrlichen Farben
geschmückt. Der Ruf und die Schön-
heit dieser leuchtenden Bilder lockte
alles Volk herbei. Die Schildbürger aber
wollten die Geschicklichkeit des Glaser-
* Es handelt sich um die Besprechung der Aus-
stellung Deutscher Expressionismus Darmstadt 1920.

meisters an diesen Kunstwerken auf die
Probe stellen. Darum baten sie ihn, ein
Gutachten über die Fensterscheiben abzu-
geben. Der Glasermeister kam und die
Schildbürger fragten ihn, ob es wohl gutes
und haltbares Glas sei. Da griff der Glaser-
meister in einen Sack, den er mitgebracht
hatte und holte eine Menge grosser Steine
daraus hervor. „Nun wollen wir einmal
sehen", sagte der Glasermeister, „ob es ge-
diegene Arbeit ist." Damit schleuderte er den
grössten und schwersten Stein so geschickt
auf die schönste der Scheiben, dass sie
sofort in Trümmer ging. „Es ist nichts
mit den Scheiben," sagte er und schmiss
der Reihe nach alle Scheiben in Trümmer.
Die Schildbürger aber rühmten laut die
Geschicklichkeit des Glasermeisters und
freuten sich noch lange über den gelungenen
Versuch.
Kurt Glaser gewidmet
X
Im Lande war Dürre und Missernte. Das
Volk ass Wurzeln, Kräuter und die Rinden
der Bäume. Da kamen fremde Leute ins
Land und pflanzten neuen, starken Samen.
Und aus dem Samen wuchsen neue, üppige
und wohlschmeckende Früchte. Sie zeig-
ten die Früchte allem Volk und priesen ihren
Geschmack und ihre Nährkraft. Einige Be-
herzte kosteten von den neuen Früchten,
labten sich an ihnen und sättigten sich.
Aber die Menge des Volkes verschmähte
das Neue und ass weiter von schlech-
ten Wurzeln, Kräutern und Rinden. Da
zogen die Pflanzer hin zum Hüter des Cul-
tus und sprachen zu ihm, er möge das
Volk belehren. Aber der Hüter war sehr
müde und schlief schon seit vielen Jahren.
So kam das Volk von Kräften und der
Geist der Menschen wurde verwirrt. Es
geschah aber um die Zeit, als der Mond
sich zum elften Male wandelte, dass Et-
liche sich zu einer Sekte zusammentaten,
die das Volk retten wollte. Sie raubten
von den köstlichen Früchten und ver-
schlangen sie gierig. Dann eilten sie zur
Hütte, in welcher der Hüter des Cultus
schlief. Hier machten sie einen gar ge-
waltigen Lärm gleich Korybanten, dass
sogar der Hüter des Cultus erwachte und
erschrocken aus seiner Hütte trat. „Wir
haben neue Früchte für alles Volk," schrie-
en sie^,so laut, dass der Hüter des Cultus

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