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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 11.1920

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Neuntes und zehntes Heft
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Blümner, Rudolf: Briefe an Paul Westheim, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37133#0130

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lerei nicht kennen. Sie, Herr West-
heim, wollen uns einen Vortrag über
Kandinskys Entwicklung halten? Aber,
Herr Westheim, das ist ja — was ist es
denn nun wieder? Ist das Ihre Unwissen-
heit oder sind Ihre Witze so dürftig?
Herr Westheim, ich habe Siej schon lang
im Verdacht, dass Sie gar nicht wissen,
was Sie schreiben. Es kann nicht anders
sein. Bei gänzlich klarem Bewusstsein können
Sie diesen Satz nicht geschrieben haben,
in dem Sie uns darüber aulklären wollen,
dass Kandinsky früher einmal Gegenständ-
liches gemalt hat. Wo haben Sie denn
diese gegenständlichen Bilder gesehen?
Denken Sie nach, Herr Westheim. Sie
wissen es nicht mehr? Ich will Ihrem Ge-
dächtnis zu Hilfe kommen. Im Sturm
haben Sie diese Bilder gesehen. Und —
das hätten Sie nicht gedacht! — da haben
wir sie auch gesehen. Glauben Sie nun,
Herr Westheim, dass ich mein Wort halte?
Dass ich Sie allen denen, die sich noch
einen Rest von Achtung vor der Makel-
losigkeit des Urteils bewahrt haben, so
zeigen will, wie Sie sind? — Und wie sind
Sie denn? Sie sind — einer, der uns über
Kandinskys Entwicklung aufklärende Mit-
teilungen macht. Ah, Herr Westheim, nun
atmen Sie auf und denken: Wenns weiter
nichts ist! Sie haben Recht, machen Sie
sich nichts daraus. Es kommen schlimmere
Tage für Sie. Denn was ist es, Herr West-
heim, das diese anmassende Belehrung
eines Unwissenden so ganz besonders an-
massend macht? Dass der Name Kandinsky
Ihnen überhaupt nicht hätte einfallen dürfen.
Grade Kandinsky nicht und grade Ihnen
nicht, weil Jeder weiss, was Sie über diesen
grossen Maler geschrieben haben. Ich
würde freilich Ihnen selbst Zutrauen, dass
Sie es nicht mehr wissen. Denn wie wäre es
sonst möglich, dass Sie Kandinsky wählen,
um zu zeigen, dass Künstler sich erst ent-
wickeln müssen, bis Ihresgleichen sie an-
erkennt. Noch einmal, Herr Westheim: Ich
glaube ganz ernsthaft, Sie wissen nicht,
was Sie schreiben. Wie kann sich nur ein
Beschimpfer Kandinskys so verheddern!
Und wissen Sie, was ich noch glaube?
Dass Sie das Wort „sogenannte" hinterher
in den Satz gebracht haben. Oder dass Sie
wenigstens glaubten, mit diesem Wort „so-
genannt" noch im letzten Mc

Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Aber es
ist Ihnen dabei ergangen wie allen, die
nicht wissen, ob es im Moment praktisch
ist, zu loben oder zu tadeln. Sie haben
die Schlinge selbst zugezogen. Und nun
steht dieses Monstrum von Satz da und Sie
brechen sich — nein, sie fallen auf die
Füsse. Herr Westheim, es gibt nur zwei
Möglichkeiten: Entweder erkennen Sie die
absolute Malerei von Kandinsky an oder
nicht. Im ersten Fall ist Ihr „sogenannte"
sinnlos und Sie stehen plötzlich im Wider-
spruch mit allem, was Sie bisher über
Kandinsky geschrieben haben. Im zweiten
Fall, wenn Sie nämlich die absolute Malerei
von Kandinsky noch immer für das Ge-
schmier halten, für das Sie sie seit acht Jahren
erklären, in diesem zweiten Fall ist Kan-
dinsky ein untaugliches Beispiel für das,
was Sie zeigen wollen. Nun sitzen Sie in
der Klemme, Herr Westheim. Aber ver-
suchen Sie ja nicht, sich damit heraus-
zureden, dass Sie Kandinsky „immerhin"
oder so ähnlich achten. Jeder Mensch weiss,
dass Sie von seiner Malerei gar nichts halten.
Oder ist vielleicht der ganze Satz nur Vor-
bereitung für den Tag, da Sie Kandinsky
entdecken wollen? Die Dummköpfe, für
die Sie zu schreiben scheinen, sollen Ihnen
wohl in naher Zukunft Gratulationsbriefe
zur Entdeckung Kandinskys schreiben? Herr
Westheim, es liegt nicht an mir, wenn ich
Sie so lang in dem verteufelten Satz fest-
halten muss. Selbst bei milderer Betrach-
tung Ihres Satzes kann ich Sie noch nicht
loslassen. Die mildere Betrachtung ist die,
dass Sie „immerhin" oder so ähnlich eine
Entwicklung anerkennen. Das ist nett von
Ihnen. Gut also. Sie erkennen eine Ent-
wicklung an. Und zu welchem Zweck
schreiben Sie das? Hier gibt es keine Aus-
rede. Entweder geben Sie jetzt endlich zu,
dass Sie wirklich nicht wissen, was Sie
schreiben oder Sie wollen mit der „Ent-
wicklung" erklären, warum ein Kunst-
kritiker nicht verpachtet ist, einen Maler zu
loben, der banale Landschaften und Genre-
bildchen malt. Und nun, Herr Westheim,
will ich den Grossmütigen machen. Suchen
Sie sich ganz nach Belieben den Zeitpunkt aus,
in dem die Entwicklung Kandinskys be-
ginnt oder vollendet ist, ganz wie Sie wollen.
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