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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 11.1920

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Neuntes und zehntes Heft
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Blümner, Rudolf: Briefe an Paul Westheim, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37133#0134

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auch ich will mich massigen. Denn ich
sehe., wie Sie erbleichen, Herr Westheim.
Warum denn? Ist es so schlimm, wenn die
Welt wieder einmal erfährt, wie Sie vor
sieben Jahren über die Kunst gedacht haben
für die Sie jetzt — hm hm — wie nenn
ich es? — kämpfen? eintreten? — ich will
sagen: für die Sie jetzt ein Blatt heraus-
geben. Ist es so schlimm? Ich will Ihnen
wohl glauben, dass Ihnen schwindlig wird.
Oder wie meinen Sie? Es sei ganz unmög-
lich, dass Sie über Chagall, Kandinsky (ja
oder nein?), Klee und die grossen Kubisten
so etwas Grässliches geschrieben haben ?
Dass Chagall ein harmloser Narr sei. Dass
die Werke von Gleizes, Metzinger und
Leger Clownerien seien. Man sollte wohl
meinen, es sei unmöglich, dass ein Mensch
je so etwas geschrieben habe. Aber Sie,
Herr Westheim, Sie haben es geschrieben.
Widersprechen Sie nicht. Sie haben es
geschrieben. Gut, wenn Sie es bewiesen
haben wollen, hören Sie mich weiter an.
Wir wollen sehr genau sein. Sie schreiben
in der zitierten Beschimpfung des Deutschen
Herbstsalons, dass diese Beschimpfung für
355 von 366 Bildern gelte. Elf Bilder
nehmen Sie also aus. Und welche Bilder
waren das? Wir wollen sehr genau sein,
Herr Westheim. Wir wollen unter die
Synoptikergehen. Wir wollen vergleichende
kritische Forschungen treiben, wir wollen
authentische Interpretation üben. Wir wollen
Paul Westheim zu Bäte ziehen. Sie kennen
ihn doch? Paul Westheim also schrie^ am
25. September 1913 in der Frankfurter Zei-
tung— Zittern Sie nicht, Herr Westheim,
ich drucke nicht alles ab. Jetzt noch nicht.
Sie sollen sich erst daran gewöhnen, diesen
grauenvollen Zeugen zu hören. Später,
Herr Westheim, später soll der Zeuge alles
sagen. Jetzt wollen wir die elf von Ihnen
anerkannten Bilder kennen lernen.
„Wenn man sich aber daran macht, die
paar Hoffnungen zu suchen, die es unter
den 366 Nummern gibt, um die es schade
wäre, wenn sie in solcher Sphäre ver-
sumpfen würden, so notiert man Franz
Marc, der mit dem „Turm der blauen Reiter"
ein gehaltvolles Werk zu bieten hat." Ich
will nicht kleinlich sein und Ihnen die
„Reiter" nicht besonders dick ankreiden.
Die Vermutung, dass Sie nicht einmal einen
Katalog lesen können, liegt ja nahe genug,

und dass Sie auf dem Bilde „Turm der blauen
Pferde" blaue Reiter gesehen haben, — mir
soll es recht sein. Es erleichtert mir den
Beweis, dass Sie auch nicht sehen können.
Das „gehaltvolle" Bild hängt nun mit Gottes
Hilfe in der National-Gallerie des Kron-
prinzen-Palais und somit ist es quasi pu-
blik geworden, dass Reiter auf dem Bild
nicht zu sehen sind. So mögen auch Sie
Kenntnis davon erhalten haben und darum
kein Wort mehr davon. Auch will ich
Ihnen nicht die Freude verderben, dass Sie
dieses Bild im Jahre 1913 nicht für den
Ulk eines harmlosen Narren gehalten haben.
Gott im Himmel allein mag wissen, wie
das zugegangen ist. Ich weiss es nicht.
Aber das weiss ich, dass die sechs anderen
Bilder von Franz Marc Ihnen weniger ge-
haltvoll vorkamen. Mich wunderts nicht.
Denn die „Tierschicksale", in denen Franz
Marc zu einer gesteigerten Geistigkeit drang,
verlangen auch beim Beschauer eine ge-
steigerte Geistigkeit. Diese Tierschicksale,
Herr Westheim, diese Tierschicksale! —
Geduld, nur Geduld, diese Tierschicksale
sind auch ein Teil Ihres Schicksals ge-
worden. Wir haben noch viel Zeit, wir
wollen es uns aufsparen. Damals also, in
Ihrem Unglücksjahr 13, waren die Tier-
schicksale für Sie noch kein „gehaltvolles"
Bild. Was damals Ihr Auge noch fesseln
konnte, waren die Bilder von Walter Helbig,
August Macke und Kokoschka: wohlge-
zählte vierzehn Bilder, fünfzehn mit den
blauen Pferden. Und elf, nur elf waren doch
damals keine Clownerien. Nur elf! Das
wollen wir recht fest halten. Denn so werden
Sie sich hoffentlich nie herauszureden
suchen. So ist es bewiesen, dass Sie die
Werke von Chagall und Kandinsky, von
Campendonk und Klee, von Leger und
Metzinger, von Gleizes und Picabia für
Attraktionen dritten Grades hielten. — Wie
ist Ihnen, Herr Westheim? Sehr schlecht?
Haben Sie keine Angst! Herr Kiepenheuer
ist mild und Ihnen wohlgesinnt. „Was
halten Sie von Herrn Westheim?" fragte
Herr Kiepenheuer im August 1919 Herrn
Waiden. Und raten Sie mal, was Herr
Waiden zur Antwort gab? Hat Sie aber
Herr Kiepenheuer zum Teufel gejagt? Nein.
Und wen sollte er wo
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