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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 11.1920

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Neuntes und zehntes Heft
DOI article:
Blümner, Rudolf: Die vier Toten der Fiametta
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https://doi.org/10.11588/diglit.37133#0138

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Erscheinungsformen herkommen, müssen,
wenn ein Kunstwerk entstehen so!!, zu
einer künstlerischen Einheit gebracht
werden. Die Verfasser und Darsteller aller
bisher gespielten Pantomimen haben nicht
einmal das Problem geahnt. Du, Herwarth
Waiden, und Wüliam Wauer, Ihr habt das
Problem als die Ersten in Europa erkannt
und gelöst. Es ist völlig ausgeschlossen,
dass dies dem Kritiker des Berliner Tage-
blatts entgangen ist. Es ist vollkommen
ausgeschlossen, dass der Kritiker des Ber-
liner Tageblatts die „P a r a 1 e 11 i t ä t der
Musik und noten treuen Gestik"
nicht als urnotwendige künstlerische Gesetz-
mässigkeit erkannt hat. Und damit ist der
dolus malus, mit dem diese Kritik ge-
schrieben wurde, bewiesen wie noch nie-
mals.
Nicht zu beweisen ist freilich, ob dieser
und die anderen Dresdner Kritiker wirk-
lich unmusikalisch sind oder sich nur un-
musikalisch gestellt haben. Möglich ist
beides. Du erinnerst Dich vielleicht, wie oft
icjji bekannte, sogar berühmte Sänger, aus-
übende Musiker, Tonsetzer und Dirigenten
als unmusikalisch bezeichnen musste.
Dass die ganze Dresdner Kritik Deine Musik
abgelehnt hat, ist also vielleicht doch irgend-
wie zu begreifen. Ich begreife sogar, dass sie
es in der Eorm getan hat, dass sie Deine
Musik für banal, unmodern und unexpressio-
nistisch erklärt hat. Diese Kritiker glauben
noch immer, Expressionismus sei etwas
besonders Bizarres oder Lautes oder Auf-
geregtes oder Phantastisches oder Wildes.
Was ist natürlicher, als dass sie eine Musik
iür nicht — expressionistisch erklären, die
nichts ist als Musik. Wenn man heute den
Leuten begreiflich machen will, dass Beet-
hoven wie jeder grosse Komponist Ex-
pressionist war, weil er reine Musik machte,
dann sperren sie zwar immer noch nicht die
Ohren, aber Mund und Nase auf. Sagt man
ihnen aber, dass gleichzeitig mit dem Auf-
stieg der Malerei zum Expressionismus der
Niedergang der Musik zum Impressionismus
erfolgt^ sei, dass dieser Niedergang mit
Wagner begonnen, mit Debussy und Schön-
berg fortgesetzt und mit Richard Strauss
vollendet wurde, dann spitzen sie noch
nicht einmal die Ohren. Denn sie ver-
stehen gar nichts mehr. Und darum ist es
auch kein Wunder, dass die Dresdner Kri-

tiker Deine Musik für unmodern erklären.
Das einzig Wunderbare ist, dass sie damit
Recht haben. Nur wissen sie es nicht,
denn Sie glauben nur, geschimpft zu haben.
Es ist aber bezeichnend für alle diese
Menschen, dass sie überhaupt von einer
Kunst verlangen, sie solle modern sein.
Denn sie wissen nicht, dass Kunst weder
modern noch unmodern, sondern zeitlos
ist. Nie werde ich Unmusikalischen be-
weisen können, warum Deine Musik der
Fiametta zeitlos ist, wie keine bisher war.
Den wenigen musikalischen Menschen, die
es gibt, brauche ich es nicht zu sagen. Und
diese wissen auch, dass Deine Musik raum-
los ist, dass Du der erste Komponist bist,
der über die Enge aller Länder und Völker
hinaus Musik geschrieben hat. Vielleicht
ist es diese Zeit- und Volklosigkeit, die
jenen höchstens traditionell oder empirisch
Musikalischen banal erscheint. Es ist immer-
hin sehr merkwürdig, dass nicht nur e i n
Kritiker, sondern, wenn ich nicht irre, alle
diese Banalität festgestellt haben. Diese
Feststellung wird diejenigen wahrhaftMusika
lischen interessieren, die Dein ganzes grosses
musikalisches Lebenswerk kennen und
nicht nur uns gegenüber ott genug ein-
gestanden haben, dass das Anhören Deiner
Musik sie zu ihrem gewaltigsten Erlebnis
geführt hat, die mit aller Ehrlichkeit ge-
sagt haben, dass keine Musik der Welt sie
so im Tiefsten aufgewühlt und ergriffen
hat wie die Deine. Und mit besonders
grossem Erstaunen werden diejenigen von
Banalität lesen, die so stark musikalisch
geschult sind, dass sie über dem Gesamt-
empßnden und dem grossen musikalischen
Erlebnis auch die Struktur des Harmo-
nischen erfassen können. Du wirst Dich
noch einer Aussetung von Julius Lieban
erinnern, die er kürzlich getan hat: „Dieser
HerwarthWalden ist der einzige Komponist,
der nie eine Harmonie geschrieben hat, die
ein anderer schon vor ihm setzte." Und
darum ist der Eindruck der Banalität auf
die Dresdner Kritiker umso verwunderlicher,
weil nachzuweisen ist, dass die ganze Par-
titur Deiner Fiametta wirklich nicht eine
einzige Tonverbindung enthält, die jemals
ein Komponist vor Dir geschrieben hat. Und
doch banal! Die Musikkritiker Dresdens
haben also diese tausend noch nicht dagewe-
senen Tonverbindungen nicht als unharmo-

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