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Weber, Gregor [Hrsg.]
Kulturgeschichte des Hellenismus: von Alexander dem Großen bis Kleopatra — Stuttgart: Klett-Cotta, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.45206#0007
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KULTURGESCHICHTE ALS PROBLEM

von Gregor Weber

»Ich darf es mir nicht verbergen, daß ich zu einer Auffassung der helleni-
stischen Zeit gekommen bin, welche von der herkömmlichen vollkommen
ab weicht. Während diese Zeit mißachtet zu werden pflegt als eine große
Lücke, als ein toter Fleck in der Geschichte der Menschheit, als eine ekel-
hafte Ablagerung aller Entartung, Fäulnis, Erstorbenheit, erscheint sie mir
als ein lebendiges Glied in der Kette menschlicher Entwicklung, als Erbin
und tätige Verwalterin eines großen Vermächtnisses, als die Trägerin größerer
Bestimmungen, die in ihrem Schoß heranreifen sollten. Möchte es mir gelun-
gen sein, diese ihre Bedeutung überzeugend nachzuweisen.«1
Im Vorwort zum dritten Band seiner Geschichte des Hellenismus aus dem Jahre
1843 machte Johann Gustav Droysen deutlich, daß er »der hellenistischen Zeit« —
nach den gängigen Definitionen die Zeit vom Herrschaftsantritt Alexanders des
Großen (336 v. Chr.) bis zum Tod von Kleopatra VII. (30 v. Chr.)2 — einen Eigen-
wert, genauer: eine erstmalige Wertschätzung als Epoche, zugesteht. Damit
setzte er sich von einem Verständnis dieser Zeit ab, das vom Gipfel der Klassik
aus auf die nachfolgende Zeit hinab sah.3 Diese von Droysen kritisierte Sicht
des Hellenismus als Zeit des Niedergangs oder gar der Degenerierung hat sich
freilich noch weit über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus gehalten. Erst in
den 1960er Jahren begann eine signifikante wissenschaftliche Beschäftigung mit
diesem Zeitabschnitt in allen wesentlichen Teilbereichen — Alte Geschichte,
Klassische Archäologie, Klassische Philologie und Orientalistik —, die in den
letzten Jahren nochmals erheblich intensiviert wurde.4
Einen wesentlichen Grund für diese Neubelebung hatte bereits Droysen formu-
liert: »Ich habe den Hellenismus bezeichnet als die moderne Zeit des Altertums.«
Mit dieser Aussage stellt er die Epoche nicht über andere — so heißt es weiter:
»ich denke, man wird diese Bezeichnung in ihrem ganzen Umfang, in gewissem
Betracht auch für die Entwicklung Roms, geltend machen dürfen.« Doch indem
sich Droysen vom bis dahin vorherrschenden Primat des Ursprünglichen und

KULTURGESCHICHTE ALS PROBLEM

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