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Weber, Gregor [Hrsg.]
Kulturgeschichte des Hellenismus: von Alexander dem Großen bis Kleopatra — Stuttgart: Klett-Cotta, 2007

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https://doi.org/10.11588/diglit.45206#0118
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FAMILIEN UND
GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE
von Linda-Marie Günther

»Phruris, mein Gatte, verehrte mir dieses Grabmal als Gabe, meinen wür-
digen Lohn für die Erfüllung der Pflicht. Ich hinterlasse im Haus ihm den
Reigen prächtiger Kinder, der mir verläßlich und treu Anstand und Klug-
heit bezeugt. Ich, Nymphike, als Gattin nur eines Mannes, ich lebe in zehn
Lebenden fort, selig mit Kindern beglückt.« — »Ich, Hipparchia, verschmähte
das Leben der Frauen, die lange Kleider tragen, ich zog kynische Tapferkeit
vor. Weder Gewänder mit Spangen noch üppig-bequeme Pantoffeln oder ein
Häubchen voll Duft boten mir lockenden Reiz ...« — »Eben gereift warst Du
zum lieblichen Wirken der Kypris (d. h. der Aphrodite, mithin zum Liebes-
spiel), da, Patrophila, erlosch plötzlich Dein reizvoller Rlick, verstummten
Dein lockendes Plaudern, das Singen zur Harfe, Klappern der Recher beim
Wein, schelmische Trinksprüche auch. Warum entrafftest Du, unerbittlicher
Hades, die teure Freundin? ...«
Den Rlick auf einen virtuellen Friedhof der hellenistischen Zeit ermöglichen
literarische Grabinschriften wie die hier exemplarisch zitierten aus der Antho-
logia Palatina.1 Meist redet die Verstorbene selbst den Wanderer direkt an oder
das Grabmal spricht zum Retrachter; seltener äußert sich im imaginären Zwie-
gespräch ein Hinterbliebener oder persönlicher Rekannter der Toten. Dabei ist
es unerheblich, ob das Epigramm eine historisch reale oder eine eher fiktive
Person der gedachten Gegenwart oder Vergangenheit vorstellt, denn in den Ver-
sen fangen die Dichter — berühmte, bekannte und auch anonyme — das damalige
Frauenbild wie in einem Rrennglas ein. Dies ist selbst dort der Fall, wo die Verse
vornehmlich literarischer Spielerei dienen, beispielsweise bei der Präsentation
der Samierin Philainis, deren Grabstätte am Kap Leukas im Südwesten der
gleichnamigen Insel gedacht wird, wo sie sich wie einst in archaischer Zeit die
große Dichterin Sappho vom Felsen gestürzt haben soll — freilich nicht wie jene

FAMILIEN UND GESCHLECHTERVERHÄLTNISSE
 
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