Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Weber, Gregor [Editor]
Kulturgeschichte des Hellenismus: von Alexander dem Großen bis Kleopatra — Stuttgart: Klett-Cotta, 2007

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45206#0259
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DIE LITERATUR ALS SPIEGEL
EPOCHALEN WANDELS
von Bernd Effe
»Ich hasse das kyklische Gedicht und freue mich nicht an der Straße, die
viele hierhin und dorthin bringt. Ich verabscheue auch den unsteten Gelieb-
ten, und vom Brunnen trinke ich nicht; zuwider ist mir alles Öffentliche.
Lysanias, Du aber bist wirklich schön, ja schön — doch ehe ich das deutlich
gesagt habe, antwortet schon ein Echo: >Ein anderer hat ihm.«
Der alexandrinische Dichter Kallimachos (ca. 310—240 v. Chr.) artikuliert in die-
sem Epigramm (epigr. 2 Page) eine wesentliche und kennzeichnende Tendenz
der hellenistischen Poesie, die im folgenden näher zu erörtern und zu illustrieren
sein wird: den Drang zu Traditionsbruch und radikaler literarischer Innovation
sowie den Anspruch ästhetischer Exklusivität. Wenn der Autor von seinem Haß
auf das »kyklische Gedicht« spricht, signalisiert er seine prinzipielle Ablehnung
jeglicher epigonaler Dichtung in den Spuren Homers; in den negativ gewichte-
ten Bildern der Straße, auf der sich die breite Masse ziellos tummelt, und des
öffentlichen Brunnens, aus dem alle trinken, kommt der Wille zum Ausdruck,
einen eigenen, exklusiven Weg neuartiger Poesie zu beschreiten. In witziger
Weise wird diese Thematik auch ins Erotische hinübergespielt — und sodann
überraschend gebrochen, wenn sich zeigt, daß der Exklusivitätsanspruch in die-
sem Bereich offenbar zum Scheitern verurteilt ist: eine selbstironische Pointe,
die auf das Schmunzeln des Lesers zielt und erkennen läßt, daß Ästhetik und
Erotik doch zwei sehr verschiedene Handlungsfelder sind.
Generelle Tendenzen
Die hellenistische Literatur setzt sich in vielerlei Hinsicht markant von der Lite-
ratur der vorausgegangenen Epochen ab und gewinnt ein eigenes und neues
Profil. Dieses Profil ist Ausdruck und Resultat des durch den Alexanderzug
eingeleiteten epochalen politisch-kulturellen Wandels. Dabei haben vor allem

260

DIE LITERATUR ALS SPIEGEL EPOCHALEN WANDELS
 
Annotationen